Berliner Panoramen der Kaiserzeit
Astrid Weidauer / Gebr. Mann Verlag Berlin
Durch den Ausbau der Stadtbahn hatte das ehemalige
Panorama-Atelier in der Bachstraße an Attraktivität gewonnen, da es sich nur
wenige Schritte von der S-Bahn-Station Tiergarten befand. Das
„Thiergarten-Panorama“ wurde im April 1889 mit einem Rundgemälde eröffnet, das
zuvor bereits in München zu einem wahren Kassenschlager avanciert war. Es
stammte von dem Münchener Künstler Bruno Piglhein, der es gemeinsam mit seinen
Kollegen Joseph Krieger, Adalbert Heine und Karl Frosch für die
Panoramagesellschaft Halder & Co. gemalt hatte. Mit der „Kreuzigung
Christi“ entstand 1886 eines der wenigen Panoramen mit religiöser Thematik, was
zu seinem außerordentlichen Erfolg beigetragen haben mag. Nachdem sich Piglhein
mit Krieger und Frosch im Winter 1885 nach Jerusalem aufgemacht hatte, wo
Studien und Photographien entstanden, wurde das Panoramabild im Schwabinger
Panorama-Atelier ausgeführt und am 1. Juni 1886 eröffnet. Auch bei diesem Bild
wurde streng arbeitsteilig vorgegangen: Krieger, unterstützt durch Heine, malte
Landschaft und Horizont. Karl Frosch übernahm die architektonischen Passagen
des Bildes, während Piglhein, der auch für den Gesamtentwurf verantwortlich war,
den figürlichen Teil zu bewältigen hatte.
Zu einem Bruch zwischen Piglhein und seinen Mitarbeitern kam
es, nachdem das Panoramabild fertiggestellt worden war. Piglhein hatte sich
gegenüber Halder & Co. vertraglich verpflichten müssen, von diesem Rundgemälde
keine weiteren Fassungen anzufertigen. Sein Gehilfe Karl Frosch sorgte jedoch
dafür, dass in Europa und Amerika über ein Dutzend Plagiate auftauchten,
jeweils mit geringfügigen Veränderungen und unter anderen Titeln, die ihm und
seinen Komplizen beträchtliche Gewinne eintrugen. Die neunte Kopie des Teams
Frosch, Krieger und W.R. Leigh wurde 1893 in der hölzernen Rotunde von
Einsiedeln aufgehängt. Nach dem Brand von 1960 entstand eine Neufassung des
Gemäldes, die noch heute dort zu besichtigen ist.
Im Panoramaführer heißt es:
„Die Plattform, auf welcher der Beschauer des Panoramas
steht, ist der höchste Punkt eines Hügels, der von der gegenüberliegenden
Anhöhe, auf welcher drei Kreuze aufgerichtet sind, durch einen Thaleinschnitt
geschieden ist und auf der den drei Kreuzen und der Stadt Jerusalem zugekehrten
Seite mehrere Felsengräber in sich schließt, darunter das des Joseph von
Arimathia und das des Nikodemus.“
Die Kunstform des
Rundbildes ermöglichte es Piglhein, eine in der Tafelmalerei häufig dargestellte
Szene einer völlig veränderten Perspektive wiederzugeben. Der Betrachter ist
dem dramatischen Geschehen auf Golgatha, das im Mittelgrund des Bildes
angesiedelt ist, weit entrückt. Nicht das und Sterben Christi stehen im Zentrum
des Bildes. Das Panorama taugt nicht zum Erbauungs- oder Andachtsbild. Es fehlt
die ausschnitthafte Begrenzung auf das eigentliche Geschehen. Eine solchermaßen
geweitete Optik versetzt den Betrachter in einen Zustand der unterhaltsamen
Zerstreuung, außerhalb des Sich-Ereignenden, und wird so zum beredten Symbol
seiner Gott-Ferne. Ein rein historisch-aufklärerisches Interesse an der fremden
Landschaft und den beteiligten Akteuren dominiert gegenüber der frommen Absicht
des religiösen Historienbildes. Begeistert davon zeigte sich etwa Richard
Muther:
„Man sieht, das Bild bezeichnet einen Triumph der modernen
realistischen Kunst. Erst das Jahrhundert der exakten Wissenschaft, der
Photographie und der Eisenbahnen ermöglichte die umfassenden Studien, welche
die wissenschaftliche Grundlage des großen Werkes bilden“.
Über die Farbgebung des Gemäldes lassen sich, wie bei allen
bisher besprochenen Rundbildern, keine Angaben machen. Ludwig Trost, der dem
Panorama 1887 einen Artikel widmete, spricht von den brillanten Farben des
Bildes, wobei Gelb- und Rot-Töne überwiegen würden.
Nachdem es zum Ende des Jahres 1891 im Berliner
„Thiergarten-Panorama“ abgehängt worden war, ging das Bild in die
Ausstellungsrotunde im Wiener Prater, wo es in der Nacht des 26. April 1892
verbrannte.