DIE KUNST UNSERER ZEIT
Ausgabe V 1894
von
Wir
haben immer Kränze für offene Gräber und Worte der Anerkennung und Versöhnung
für Heimgegangene. Aber es ist, als ob diese Kränze weniger schnell welkten und
als ob diese Worte den Ton des Herkömmlichen abstreiften, wenn sie einem von
Denen nachgerufen werden, deren Ausscheiden eine wahre Lücke in das allgemeine
Gefühlsleben reißt. –
Eine
solche tiefere Bewegung klang aus den einfachen, schönen Abschiedsworten,
welche Dill am Grabe Piglhein’s sprach, aus der Trauerrede des Dekan Kelber,
aus den Bereichen der Presse über die so ergreifende Totenfeier. – Es ist Zeit
seines nur so kurzen Lebens oft und viel über Piglhein geschrieben worden. Er
gehörte nicht zu Denen, die ungekannt von der Mehrzahl und nur von Wenigen
verstanden, auf kalter Höhe einem immer unerreichten Ideal nachstreben.
Tausende und aber Tausende haben sich an seinem Panorama der Kreuzigung erbaut,
seine liebenswürdigen Pastelle sind in billigen Reproduktionen in die deutsche
Familie gedrungen und große Ausstellungen haben weithin seinen Ruhm verkündet.
Die Kunstgeschichten von Pecht und Muther haben ihn eingehender behandelt und
Keiner wird in Zukunft die deutsche Kunstgeschichte der so bedeutungsvollen
zwanzig Jahre schreiben können, ohne ihm einen Platz einzuräumen.
Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, Alles zu übersehen
und vollständig zu sein. Für uns kann es sich nur darum handeln, Nachlese zu
halten in eigenen Erinnerungen und in denen seiner Freunde und auch in diesen
Blättern sein Andenken zu ehren, indem wir uns die Grundzüge seines Wesens und
Schaffen vergegenwärtigen.
Elimar Ulrich Bruno Piglhein wurde am 19. Februar 1848 zu
Hamburg geboren, einer Stadt, welche in der Kunstgeschichte einen bescheidenen
Platz einnimmt. Als viele kleinere Schwesterstädte im alten und im neuen
Deutschen Reich. Sein Vater war „Dekorateur“ gewesen, d.h. er hatte sich
berufsmäßig mit dem Einrichten und Ausschmücken von Wohnräumen im größeren
Maßstabe beschäftigt. Das Dekorieren lag unserem Bruno also gleichsam im Blute
und seinen Familientraditionen, und es ist offenbar nicht zufällig, dass das
Dekorative der charakteristische Grundzug seines künstlerischen Schaffens
geworden und geblieben ist. Damit soll keineswegs ein Tadel ausgesprochen sein.
Das Dekorative sucht zwar im Gegensatz zum Intimen die äußere Wirkung, es ist
sich weniger Selbstzweck, als es dazu dient, ein Drittes zu schmücken und ins
rechte Licht und in die rechte Stimmung zu versetzen, allein jede Kunstgattung
kann eine sie beherrschende Genialität den höchsten Zielen der Kunst
entgegengeführt werden, welche doch immer nur die sind, erhebend und erfreuend
zu wirken.
Nicht sogleich erkannten Piglhein und Andere richtig die
eigentliche Natur seiner Begabung seiner Veranlagung. Er trat zuerst in seiner
Vaterstadt in das Atelier des Bildhauers Lippelt ein. Die so interessante
historische Sammlung der Münchener Künstlergenossenschaft bewahrt eine
Photographie des jungen Kunstbeflissenen in malerischer Gruppierung. Ein
Jüngling, das Modellierholz in der Hand, lehnt in nachlässiger Haltung an einem
Modellierstuhl, auf dem eine kleine Reproduktion des Diskuswerfers in Gips
steht und in dessen Nähe man eine Gipsmaske und ein Schild mit allegorischen
Darstellungen – vielleicht die ersten Versuche seiner Hand – gewahrt. Zu seinen
Füßen liegt ein Neufundländer ausgestreckt. In den noch jugendlich unreifen
Zügen erkennt man schwer den späteren jungen Mann wieder, der auf
Künstlerfesten im Kostüm des cinque cento und in anderen durch seine Schönheit
auffiel, die später die zunehmende Leibesfülle etwas beeinträchtigte.
Im Jahre 1864 starb sein erster Lehrer; Piglhein siedelte
an die Dresdener Akademie über, die er nach zwei Jahren wegen angeblichen
Mangels an Talent wieder hätte verlassen müssen, wenn ihn nicht Schilling, der
spätere Schöpfer des Nationaldenkmals auf dem Niederwald, besser erkannt und in
sein Atelier aufgenommen hätte, wo er außer verschiedenen plastischen Entwürfen
eine Brunnenfigur ausführte. Wie damals noch so ziemlich alle jungen Künstler,
zog er dann nach Italien und kehrte von dort – als Maler zurück. Der bekannte
Historienmaler Pauwels in Weimar, der so viel treffliche Schüler heranbildete,
leitete seine ersten Schritte auf dem Gebiete der Malerei, aber schon nach
einem halben Jahre lockte es ihn nach München, wo Wilhelm Diez sein Meister
wurde. (1870.)
Die Jahre, welche Piglhein auf die Bildhauerei verwandte,
waren für seine künstlerische Entwicklung sicherlich keine verlorenen. Sie
legten den Grund zu seinem virtuosen Können und ihnen verdankte er wohl mit
seine von Allen bewunderte Fertigkeit, richtig zu zeichnen und plastisch zu
modellieren.
„In München“, erzählt Pecht (Geschichte der Münchener
Kunst) ferner, „malte Piglhein ein Bild „Familienglück“ und ein Plafondgemälde
„Tag und Nacht“, ohne durchzudringen. Er verließ nun die Schule und ging nach
Paris, um dort bald seine ganze Anschauung umzuformen. Zurückgekehrt, gelang es
ihm auch zum ersten Mal Beachtung auf der 1879er Ausstellung durch einen
Christus am Kreuz zu finden, dem ein Engel die letzten Augenblicke erleichtert.
Das war kühn und großartig in der Erscheinung gedacht und wenn auch ohne
eigentliche Tiefe in den Charakteren, doch mit viel an Tintoretto erinnernder
Energie gemalt“. –
Der Künstler hatte an dieses Werk, dem er den Titel:
„Moritur in Deo“ gab und das den Heiland in dem Augenblicke darstellt, in dem
der Todesengel seine Stirne berührt, sein ganzes Können, seine ganze
jugendliche Begeisterung gesetzt. Das Antlitz des Erlösers war ihm in einer
weihevollen Stunde einst unter Orgelspiel aufgegangen, er glaubte etwas nicht
Gewöhnliches hervorgebracht zu haben. Aber das Werk schlug nicht eigentlich
ein. Wenn auch die Freunde es anerkannten, die Kritik nörgelte, das Publikum
begriff nicht und auch die kleinste Dorfkirche wollte es nicht um den
billigsten Preis erwerben. Dieser Misserfolg verstimmte Piglhein tief; er „warf
ihn“, wie er mir einst sagte, „zurück“. – Ein Stadium der Depression, wie sie
nicht selten sind in seinem Leben, trat ein; seine Schaffensfreude, wenn auch
nicht seine Schaffenskraft, blieb lange gemindert. Er hing phantastischen
Entwürfen nach, von denen manche nie das Studium der Vollendung und das Licht
der Öffentlichkeit sahen. Zunächst malte er ein großes Liebespaar an einer
Quelle, auf das er sehr viel hielt und an welches auch noch die viel spätere
(1891) Frühlingsidylle, eine Schöpfung voll der zartesten Sinnlichkeit,
erinnert. Dies scheint der Zeitpunkt gewesen zu sein, wo außer Makart, der ihn
begeisterte, auch Boecklin auf ihn wirkte. Es entstand ein Centaurenpaar, das
sich bei untergehender Sonne selig umschlingt und der hereinbrechenden
Meeresflut entgegenstürzt. Dieses Bild von großartigen Wurf und eigentümlich
unheimlicher Stimmung ist zur Zeit in der Sezession ausgestellt1. Anderes ließ er unvollendet stehen,
denn so leicht er arbeitete, so streng war der Maßstab, den er an Alles legte,
was er schuf.
Auf anderen Gebieten, als auf den bisher betretenen, sollte
der junge Künstler endlich seine ersten unbestrittenen und auch materiellen
Erfolge erringen; - mit seinen Pastellen. Es waren meist geistreiche
Künstlergedanken, oft in unglaublich kurzer Zeit hingeworfen, sogar bei Licht
und ohne Modell gemalt; Scherze, Idyllen, Amouretten, Pieretten, Kinderszenen,
Frauengestalten – „höchst maniriert gemalte Hetärenköpfe“ nennt sie der
zuweilen griesgrämige Pecht, - deren starker haut-goût das große Publikum
anzog, den reineren Kunstgenuss aber etwas störte. Piglhein hatte den feinsten
Sinn nicht nur für die Schönheit des Weibes, sondern auch für die reinste Blüte
des Menschentums – den Reiz und die Liebenswürdigkeit des Kindes. Er wusste ihm
die feinsten charakteristischen Züge abzulauschen und gesellte ihm gern seine
possierlichen Freunde, die Hunde, bei, in deren getreuer Wiedergabe er sich
auch als ein ganz bedeutender Tiermaler zeigte. Diese graziösen Schöpfungen
wird man wahrlich nicht bloß dekorativ nennen können; sie sind voll des
zartesten, intimsten Reizes. Wer könnte sich je satt sehen an der „Idylle“, wo
die beiden Freunde, eng aneinander geschmiegt, auf dem Steg sitzen, der in den
See hinausreicht? Oder an dem unter Jagdhunden eingeschlafenen Kinde? –
F. A. Ackermann hat den glücklichen Gedanken gehabt, 20
dieser reizenden Schöpfungen zu einem kleinen Prachtwerk zu vereinigen, das in
drei verschiedenen Formaten erschien und sehr viel Anklang und Absatz fand.
Auch von den Portraits, welche Piglhein um jene Zeit malte,
verdienen wohl die von Kindern den Vorzug, und jedem, der es gesehen hat, wird
das Portrait des kleinen de la Motte, des Söhnchens des damaligen Sekretärs der
französischen Gesandtschaft, unvergesslich bleiben. Bei der Wiedergabe
eleganter Damen verriet er nicht minder „chic“, wie er denn wohl eine hohe
Stufe in Repräsentationsportraits hätte erreichen können, wenn die Gelegenheit,
solche zu malen, häufiger an ihn herangetreten wäre.
Sein Schmerzenskind: „Moritur in Deo“ sollte ihm
schließlich auf indirektem Wege doch den größten Erfolg seines Lebens
einbringen. Die stimmungsvolle Großartigkeit dieses Gemäldes erweckte in dem
damaligen Direktor des Münchener Panoramas, k. Hauptmann a. D. Joseph Halder,
einem sehr intelligenten und energischen Manne, den glücklichen Gedanken, statt
aktuellen, schnell veraltenden Vorgängen einen solchen bleibender Geltung zum
Gegenstande eines Panoramas zu machen, die Kreuzigung des Erlösers, und
dasselbe Gemälde wies Halder zugleich auf den Meister hin, dem man bei einigem Vertrauen eine solche Aufgabe übertragen
könne. Die Münchener Panoramagesellschaft wagte sich nicht an das Unternehmen,
aber Halder fand in einem Herrn Hotop in Dresden einen Kapitalisten, welcher
die erforderlichen Mittel bereit stellte. Am 1. Februar 1885 schloss Piglhein
mit der Firma Halder & Cie. Einen Vertrag ab, durch den er sich
verpflichtete, gegen ein Honorar von 145 000 Mark ein Panorama: „Jerusalem und
die Kreuzigung Christi“ herzustellen, dessen ästhetischer Wert die Bezeichnung
eines Kunstwerkes ersten Ranges rechtfertigen würde.
Piglhein blieb es anheimgestellt, selbst, wenn er es für
nötig erachte, für Gehilfen bei dem umfangreichen Werke zu sorgen. Seine Wahl
fiel auf den Architekturmaler Karl Frosch und den Landschaftsmaler Joseph
Krieger. Den Ersteren honorierte er mit 20'000 Mark, den Letzteren mit 9'500
Mark. Vor Allem musste zur Erzielung der landschaftlichen Wahrheit der
Schauplatz des heiligen Dramas an Ort und Stelle studiert werden. Wir entnehmen
der sehr anziehend und frisch geschriebenen Erläuterung des Panoramas von Dr.
Ludwig Trost Folgendes über diese Reise: „Stürmisch war die Fahrt durch die
Adria, beschwerlich die nach Alexandria, Kairo und Port Said und von dort durch
das levantische Meer nach Jaffa; aber auch stürmisch schlug das Herz der
Künstler, als die Zinnen Jerusalems nach einer holperigen Fahrt auf elender
Landstrasse endlich im Abendsonnenstrahl vor ihren Blicken lagen. Ermüdet
finden die Künstler mit der sie begleitenden Gattin Piglhein’s im
Johanniterhospiz ihr erstes Nachtquartier. An ein topographisches Studium der
Gegend ist vorerst nicht zu denken. Jupiter Pluvius sendet unendlichen Regen
herab, der drei Wochen anhält und Stadt und Land in einen grauen Schleier
hüllt. Die Künstler mussten sich daher zunächst dem Studium der Leute zuwenden,
wozu in den engen und winkeligen Strassen Jerusalems sich in Fülle Gelegenheit
bot“. „An Mannigfaltigkeit der Modelle fehlt es nicht, aber sie sind
kostspielig; befinden sich doch Typen darunter, die für eine einzige
Modellsitzung hundert Franken fordern. Das rührt zum Teil von einem frommen
Vorurteil her, mit welchem sich die Eingeborenen gegen bildliche Aufnahmen
abwehrend verhalten. Manche glauben sogar, dass sie bald sterben müssten, wenn
sie photographiert oder abgemalt werden. Aber mit Hilfe von mitgebrachten
Trockenplatten und Momentapparaten bemächtigen sich die Künstler mancher Gestalten
frisch von der Straße weg, ohne dass der also Aufgenommene den Angriff auf sein
Exterieur merkt. – Endlich lichtet sich der Himmel, man besteigt die Pferde,
die Umgegend Jerusalems wird zur Rekognoszierung abgeritten; dann folgt ein
Ritt in die Wüste Juda, es wird einer frohen Jagdlust auf Mandelkrähen, Geier,
Schakals und Gazellen gehuldigt, doch das jagdbare Wild merkt sehr bald, dass
die Flinte in den Händen der Künstler weniger sicher trifft, als Pinsel und
Palette“.
Die mitgebrachten Empfehlungen seitens des päpstlichen
Nuntius und des Erzbischofs von München erleichtern die nun beginnende Arbeit
der Vedutenmalerei. Piglhein dirigiert seine Truppe; wie die Spione sitzen sie
da und machen Terrainaufnahmen mit einer Gewissenhaftigkeit, die der großen
Aufgabe würdig ist. Alles wird von dem Stift erfasst: Steingerölle und Höhlen,
Baumschlag und Talsenkung, und das wichtigste für die Umgebung des
vielumfassenden Panoramas: die eigenartige bauliche Anlage der Dörfer und
Weiler in der Nähe von Jerusalem. Aber um auch das Künstlerauge im Allgemeinen
an die Charakteristik der palästinischen Landschaft zu gewöhnen, um es zu
erfreuen an den verschiedenartigen Stimmungen von Berg, Felsen, Wald und Luft,
wird ein weiter Ausflug ans tote Meer, in das geräumige Jordantal und nach
Damaskus unternommen in der schützenden Begleitung eines Dragomans und
berittener Beduinen, welch’ letztere für allerlei Kurzweil zu sorgen wissen“.
„Reich mit des Orients Schätzen beladen“ kehrt die Karawane
nach dreimonatiger Abwesenheit über Konstantinopel nach München zurück. Ein
volles Jahr rastloser Arbeit war erforderlich, um die Ausbeute der Reise zu
verwerten und die Riesenleinwand von 15 Meter Höhe und 120 Meter in der Runde
zu bewältigen. Tag für Tag, so lange es das von oben hereinfallende Licht
gestattete, saßen Piglhein und seine Helfershelfer auf kolossalen, durch
Schienen beweglichen Fahrstühlen. Nicht immer während dieses langen Jahres
blieb die Freude an dem Werk die gleiche. Es gab, wie Ludwig Trost andeutet,
Tage und Stunden, an welchen Piglhein, „das Künstleroberhaupt auf die Brust
gesenkt, von Lethargie befallen, die Augen sinnend über die ungeheure Leinwand
schweifen ließ und bange Zweifel in seiner Brust wühlten, ob der Erfolg den
aufgewandten Mühen je entsprechen werde“.
Sonntag den 30. Mai 1886 wurde das Panorama vor einem
Kreise geladener Festgäste feierlich eröffnet. Der Eindruck des Publikums war
der allgemeiner und ungeteilter Bewunderung und auch die Kritik schloss sich
ihm rückhaltlos an. Durchblättert man die zahllosen von Hauptmann Halder
gesammelten Zeitungsartikel, die in den drei Städten München, Berlin und Wien,
wo das Panorama zur Ausstellung gelangte, erschienen, so findet man darin nur
eine Variation des Urteils, das Trost seinen Erläuterungen vorangestellt hatte:
„Das Piglhein’sche Panorama ist ein Werk aus einem Guss und trägt in allen
Beziehungen den Stempel künstlerischer Originalität und Meisterschaft an sich,
man mag den landschaftlichen, oder den architektonischen oder den figürlichen
Teil ins Auge fassen, Dazu liegt über dem Bilde, Dank der ungemein zarten und
feinsinnigen Lichtgebung, etwas Feierliches, Hoheitsvolles, wir möchten sagen,
Überirdisches, was den Beschauer sofort in eine weihevoll ernste Stimmung
versetzt. Durch diesen über das Ganze gegossenen Hauch der Idealität wird aber
die Darstellung der Wirklichkeit nicht beeinträchtigt. Alles, was das Auge
schaut, entstammt ja ihr: jeder Baum, jede Strasse, jede Terraingestaltung,
jedes Haus und Mauerwerk“. . . .
Leider sollten auch die von Piglhein bei Ausführung des
Werkes gehegten Befürchtungen nicht ganz unerfüllt bleiben und manch’ bitterer
Wermutstropfen in den Becher seines Erfolges fallen. Noch ehe das Panorama im
April 1892 zu Wien ein Raub der Flammen wurde, musste Piglhein es erleben, dass
sein ungetreuer Gehilfe, Karl Frosch, „the eminent painter of Munich“, wie er
in den Ankündigungen dieser Unternehmungen genannt ist, sein Panorama neun Mal,
sage neun Mal! – reproduzierte und in mehreren amerikanischen Städten, in
London und Amsterdam ausstellte. Gleichzeitig verbreitete sich die für den
Meister so kränkende Meinung, an der noch heute Viele mit Zähigkeit festhalten,
seine ganze Betheiligung an dem Hauptwerke seines Lebens habe nur darin
bestanden, die zum Teil etwas groß wirkenden Figuren in die von Anderen gemalte
Landschaft einzumalen. Zu dieser Meinung mochte nicht wenig eine Erklärung
beigetragen haben, welche der immer wohlwollende Piglhein dem Führer durch das
Panorama beeindrucken ließ, und welche Fassung hat:
„Die gesamte Landschaft, sowie das Firmament und
insbesondere dessen effektvolle Stimmung und Beleuchtung sind von Herrn Josef
Krieger gemalt worden, welchen Herr Adalbert Heine hierbei unterstützte. Die
Stadt Jerusalem und sonstige Architektur entstammt dem Pinsel des Herrn Karl
Frosch, welcher auch als Perspektiviker fungierte. Die Gesamt-Komposition,
sowie alle Figuren hat ausschließlich und allein Herr Professor Piglhein
hergestellt und gemalt“. - 2
Inzwischen
ist durch den Ausspruch von fünf englischen Instanzen, durch die beschworenen
Aussagen des Meisters und der Sachverständigen F. A. Kaulbach und Rieger
festgestellt worden, was man unter der „Gesamt-Komposition“ zu verstehen habe.
Der gerichtlichen Verfolgung Frosch’s
in den Vereinigten Staaten, welche der Berner Litterar-Konvention nicht
beigetreten sind, standen Schwierigkeiten entgegen, hingegen stellte die Firma
Halder & Cie. Klage gegen die Buffalo-Cyclorama Company in London, welche
am 23. Dezember 1891 eine der Frosch’schen Reproduktionen von Piglhein’s Panorama
mit beispiellosem Erfolg eröffnet hatte. Das Urteil lautete auf sofortige
Schließung der fraglichen Reproduktionen. Hierbei war konstatiert worden, dass
Piglhein auf acht Bildern eine Skizze des ganzen Panorama’s in 1/10 der
natürlichen Größe hergestellt hatte, und dass die Tätigkeit des Frosch
insbesondere darin bestand, diese Skizzen schwarz abzupausen, zu
photographieren und dann, mittels der Kamera obscura zehnmal vergrößert auf die
Leinwand übertragen. Eine der neun zum Teil eidlichen Erklärungen, die Piglhein
in dieser Prozesssache abgab, besagt folgendes:
„Der Entwurf meines Panorama’s der
Kreuzigung Christi in seiner gesamten Komposition, als die Landschaft, der
figürliche und der architektonische Teil, sind meine ureigenste Erfindung. Ist
es schon bei den Figuren selbstverständlich, dass sie nur aus der
künstlerischen Konzeption geschöpft werden können, so ist es bei dem
landschaftlichen Teil ebenso der Fall, da er ganze das Gemälde beherrschende
Teil, die nächste Umgebung von Golgatha, heute ein überbauter Stadtteil ist,
und ferner, da die von mir angeordnete Lichtstimmung, die Sonnenfinsternis
darstellend, vollständig den ganzen Ton des Gemäldes beherrscht. Was den
architektonischen Teil anlangt, so bediente ich mich der Beihilfe des Malers
Frosch für die Durchbildung der Details der Stadt Jerusalem und der
perspektivischen Konstruktion, wobei Frosch jedoch meinen künstlerischen
Anordnungen unbedingt Folge zu leisten hatte. Auch der architektonische Teil
ist meine künstlerische Rekonstruktion auf Basis archäologischer Forschungen“.
Wir glaubten es dem Andenken
Piglhein’s schuldig zu sein, bei diesen weniger allgemein bekannten Tatsachen
des Längeren zu verweilen, indem wir behufs weiterer Informationen über diese
cause célèbre des internationalen Rechts auf die aktenmäßige Darstellung in der
Zeitung „Le droit d’auteur“ No. 3 und 5 vom 15. März und 15 Mai 1891
hinzuweisen.
Als das Original des Panorama’s im
Jahre 1892 verbrannt war, gestattete die Firma Halder & Cie., der
Buffalo-Cyclorama gegen entsprechende Tantièmen, die Reproduktion dem Publikum
wieder zugänglich zu machen. Obschon die Firma Halder von der Annahme ausging,
dass auf die Frosch’sche Reproduktion die Vertragsbestimmung über Piglhein’s
Anteil an dem Vervielfältigungsrecht keine Anwendung finde, räumte sie ihm die
Hälfte des Ertrags dieser Tantièmen nach Abzug der gehabten Prozesskosten im
Betrage von 17'000 Mark ein. Piglhein erachtete sich jedoch in seinen
Ansprüchen verletzt und stellte nun seinerseits gegen die Firma Halder &
Cie. Klage. Dieser zur Zeit noch schwebende Prozess, über dessen Umfang in
Künstlerkreisen zum Teil irrige Meinungen verbreitet sind, ist der einzige, den
Piglhein in dieser Angelegenheit geführt hat.
Wie anderen Künstlern zuweilen ein
Aufenthalt in Italien und Paris die Richtung gab, so ist die Reise in das
heilige Land lange für die Stimmung und das Gegenständliche in Piglhein’s
Schaffen bestimmend geblieben. Sichtlich im engen Anschluss an das Panorama
brachte er auf die III. internationale Kunstausstellung zu München (1888) eine
Grablegung Christi, welche mit der II. Medaille ausgezeichnet wurde und welche
der bayerische Staat für die neue Pinakothek erwarb. Gleich als wollte er sein
oben angeführtes Urteil über Piglhein etwas mildern, schrieb Pecht darüber in
der „Kunst für Alle“: „Einen Eindruck von ebensoviel Eigenart als packender
Kraft macht Piglhein’s Grablegung, die durch einen Zug von Großartigkeit
überrascht, der für das echte Talent des Künstlers spricht. Es ist diese in
wilder Felsschlucht vor sich gehende Handlung ein Stimmungsbild ersten Ranges
und geht weit über seine Kreuzigung hinaus, wie sie beweist, dass der Künstler
hohen Ernstes wohl fähig ist“. – In der Tat wird man diesem Bilde, welches sich
frei von akademischer und theatralischer Pose hält, die seltene Eigenschaft des
hohen Stiles nicht absprechen können.
Aus dem folgenden Jahre (1889), in
welchem Piglhein als Vorsitzender der Gesamtjury der ersten Münchener
Jahresausstellung von Kunstwerken aller Nationen hier nicht ausstellte, datiert
ein anderes religiöses Bild von ihm: „Der Stern von Bethlehem“. Er hatte schon
im Jahre 1884 eine Madonna geschaffen mit einem etwas großen Kinde von edlem,
schmerzlichen Ausdruck; wir stehen aber nicht an, „Stern von Bethlehem“ zu den
reinsten Schöpfungen des heimgegangenen Meisters zu zählen. Besonders in den
Engelsköpfen, die andachtsvoll, schauend und doch kindlich mitleidig und
neugierig auf den sternebeschienenen Heiland herabblicken, liegt eine Innigkeit
und Zartheit, wie sie Gian Bellini und die besten Italiener der früheren Zeit
zuweilen gefunden haben.
Auch auf die II. Münchener
Jahresausstellung (1890) brachte Piglhein eine Reminiszenz aus Palästina: Das
blinde Mädchen, welches bei Sonnenuntergang durch das rotblühende Mohnfeld
hinschreitet und dem Stab den Weg zum Brunnen sucht. Die herrliche Schöpfung,
die Viele nunmehr für Piglhein’s bestes Staffeleibild erklären, ist seiner Zeit
in diesen Blättern zur Reproduktion gelangt. In München war ihm damals die
herrschende Richtung nicht ganz günstig; Hamburg wollte es kaufen und machte
Aussetzungen, denen Piglhein durch eine spätere Umarbeitung der Luft
entgegenkam. Den vollen äußeren erzielte das Werk erst im folgendem Jahre
(1891) auf der Berliner internationalen Ausstellung, wo es dem Künstler die
erste Medaille einbrachte. Es hieß, dass der Kaiser sich besonders dafür
interessierte und es kaufen wollte, doch eine Amerikanerin kam ihm zuvor.
In Berlin war 1891 auch noch eine
andere Tochter des Südens von Piglhein’s Pinsel zu schauen, seine ägyptische
Schwerttänzerin, ein Bild von hohem koloristischem Reiz, das zugleich den
Beweis liefert, wie fein Piglhein fremde Typen zu charakterisieren verstand. Es
war dies eine Aufgabe, die für ihn etwas Reizendes hatte. Schon früher hatte er
gerne Neger als Wärter weißer Kinder dargestellt, und noch bevor er in
Jerusalem dieser Neigung in vollen Zügen nachgehen konnte, machte er an einer
in München weilenden Nubiertruppe einschlägige Studien.
Außer
größeren Werken gingen damals auch mehrere Pastellportraits aus seinem Atelier
hervor. In der letzten Zeit seiner Laufbahn erstand seiner Kunst besonders in
Geheimrat Krupp ein edler Mäzen. Der Maler begab sich nach Essen und malte dort
die Dame des Hauses, alle Kinder und selbst den dicken Bulldog. Es war eine schöne
Tat, dass Geheimrat Krupp dem Schwerkranken noch auf dem Sterbebette eine
Freude bereiten wollte, indem er ihm die Nachricht brachte, er habe sein
„Moritur in Deo“ gekauft, um es der Nationalgalerie zum Geschenke anzubieten.
Jetzt hängt das Bild, mit einem schwarzbebänderten Lorbeerkranz geschmückt, in
der Ausstellung der Sezession, wie ein letzter ernster Gruß ihres
heimgegangenen ersten Präsidenten an die junge Gesellschaft und ihre Freunde.
Das Bild wirkt nach 16 Jahren eigenartig, aber nicht veraltet, es ist eine
höchst bedeutende Leistung von nicht vergänglichem Wert, auf der die Weihe echt
künstlerischer Stimmung ruht.
In den letzten der Jahren seines
Lebens hat Piglhein fast nichts mehr geschaffen; er widmete die Kraft, um sich
greifendes schweres Herzleiden ihm noch übrig ließ, ganz den geschäftlichen
Arbeiten für die Sezession. Nachdem er zu Anfang des heurigen Jahres in Berlin
unter Schweninger eine entsetzliche Entfettungskur durchgemacht hatte, sah er
anlässlich der Hochzeit einer Nichte noch einmal seine Verwandten und seine
Vaterstadt Hamburg wieder. Am 6. April kehrte er krank nach München zurück, um
bis zu seinem am 15. Juli eingetretenen Tode chaise longue und Bett nicht mehr
zu verlassen. Er litt unsäglich, mit bewundernswürdiger Kraft und
Selbstlosigkeit gepflegt von seiner Frau, mit der er seit neun Jahren in einer
glücklichen harmonischen Ehe lebte. Mehrere operative Eingriffe wurden
erforderlich, es floh ihn der Schlaf, er verlor das Bewusstsein und wollte in
einer eigentümlichen Zwangsvorstellung möglichst von weißer Farbe umgeben, so
dass man zuletzt Wände und Türen weiß behängen musste. In der tiefen Qual, von
der keine menschliche Hilfe ihn befreien konnte, verlangte er, dass man ihm
bete und den kurzen Augenblicken vorübergehender Erleichterung brach immer
wieder die alte Liebenswürdigkeit seines Wesens durch. Räuber und Buschbeck
haben in den letzten Lebensmomenten die Gesichtszüge gezeichnet, in denen die
kalten Schatten des nahenden Todes schon ein Strahl des erkämpften Friedens
mildert.
Wir haben in dem Vorstehenden die
Hauptstufen von Piglhein’s Entwicklungsgang anzudeuten versucht; gehen wir nun
zu seiner allgemeinen Charakterisierung über, so müssen wir in erster Linie die
seltene Verbindung einer genialen und vielseitigen Begabung mit einem klaren,
gebildeten Geist, einem wohlwollenden Herzen und einem reinen Charakter
hervorheben.
Es gibt Menschen, den die Beschränkung
seiner Begabung auf den flachen Realismus hinweist, weil er unfähig ist zu
schaffen, sobald er kein Modell vor sich sieht und das, was er malen will,
nicht vorher photographieren kann, der daher genötigt ist, die Natur pedantisch
Zug für Zug abzuschreiben und ihr gleichsam nachzukriechen. Piglhein besaß die
Schwingen einer starken Phantasie und, wie Makart, ein sicheres Formgedächtnis,
das ihn befähigte, auch ohne Modell realistisch zu bleiben und die Sphären der
Traumwelt zu betreten, in welche die Photographie nicht dringt und welche keine
Modelle zu uns sendet. Mochte er im persönlichen Verkehr zuweilen phlegmatisch
erscheinen, so bald er den Pinsel zur Hand nahm, war er voll Temperament. Seine
potente Gestaltungskraft machte ihm fast jedes Gebiet zugänglich; er konnte
Alles malen, er hatte einen magistralen Anstrich – die Tatze („la patte“), wie
die Künstler es nennen. Und mehr als alles dieses – in unseren Tagen, wo
Parteisucht und Gehässigkeit, wo die schroffe oder gleichgültige Ablehnung
alles Dessen, was nicht die Sphäre des eigenen Ichs berührt, immer häufiger
auch unter Denen werden, die Pflege des Schönen und des Ideals auf ihre Fahne
geschrieben haben, gab er das Beispiel einer vornehmen Gesinnung und einer
höheren Lebensführung. Er war, um mit Ibsen zu reden – ein „Adelsmensch“. –
Wohlwollend gegen Jeden, zugänglich allen edlen Bestrebungen, neidlos,
selbstlos, immer bereit zu helfen, ein trefflicher Lehrer, ein guter Kamerad! –
Niemand konnte so liebevoll auf eine fremde Individualität eingehen, Niemand so
gut Rat erteilen und den entstehenden Ideen zum Durchbruch und Ausdruck
verhelfen, Niemand sich so aufrichtig freuen über fremden Erfolg. Darum wird
sein Ausscheiden so schmerzlich empfunden in der Künstlerschaft und darum wird
er unersetzlich sein.
Oft hörte man fragen, was hat Piglhein
bei der Sezession zu suchen, da doch die neuen Richtungen der letzten Jahre auf
seine Malweise fast keinen Einfluss übten. In der Tat war er kein Talent, das
gern nachahmt und sich leicht jeder neuen Strömung adaptiert, sondern eine
Individualität, die sich selbst aussprach und gleich blieb. Wenn er als einer der
Ersten die Idee der Jahresausstellungen mit internationalem Charakter mit Wärme
vertrat und sich später der Sezession anschloss, so geschah dies darum, weil er
in all dem das Prinzip des künstlerischen Fortschritts, den Kampf gegen die
Routine und eine geschäftsmäßige Produktion erblickte und weil er allen von ihm
als ideal und gut erkannten Bestrebungen sympathisch und verständnissvoll
gegenüber stand. Aber er war dabei nie gehässig und ungerecht gegen anders
Denkende und immer ging ihm die Sache vor der Person.
Durch das Leben dieses edlen Menschen
und genialen Künstlers ging ein melanchonischer Zug, welcher seine Stimmung
nicht trübte, aber gleichsam dämpfte. Er fand mit Recht, dass sein äußerer
Erfolg nicht im richtigen Verhältniss stand, und dass er ein „Pechvogel“ sei.
In der Tat ist ihm Vieles, was Anderen leicht zufällt, gar nicht oder zu spät
zu Teil geworden. Er besaß nur wenige Auszeichnungen, in München ward ihm nie
die erste Medaille verliehen, das Hauptwerk seines Lebens verbrannte und als endlich
sein „Moritur in Deo“ einen edelgesinnten Käufer fand, da quälte ihn der
Gedanke, ob das Werk wohl jetzt noch würdig sein werde, in die Nationalgalerie
einzugehen.
Am meisten aber ist es zu bedauern,
dass nur einmal im Leben eine seiner würdige große Aufgabe an ihn herantrat. An
das Panorama, an dem er doch sein Maß gegeben hatte, schloss sich kein
Fürstenschloss, kein Reichstagsgebäude, kein Theatervorhang, kein Festsaal. Und
wie herrlich er das ausgeführt hatte, mit wie viel Pracht, Glanz, Stimmung und
Virtuosität, wie ihm die Ideen zugeströmt wären, wie er mit seinen Zwecken
gewachsen wäre! – Wer weiß, wie Vieles sich anders gestaltet hätte, wenn der
befruchtende Strom eines großen und anhaltenden Erfolges durch seine oft
müßigen Tage gerauscht wäre!
Zu seinen Lieblingsideen gehörte
insbesondere die Umgestaltung der gesamten Theaterszenerie und des
Theaterdekorationswesens und dessen Einleitung in künstlerische Bahnen,
namentlich in Anwendung auf die von ihm leidenschaftlich geliebten Musikdramen
Richard Wagner’s. Bei seiner phantastischen Gestaltungskraft hätte man hievon
gewiss Bahnbrechendes in dieser Richtung von ihm erwarten dürfen.
Generaldirektor Possart ging verständnisvoll auf diese Pläne ein, aber leider
war es auch hierzu zu spät, denn seine Krankheit war bereits zu weit
vorgeschritten.
Zu den melancholischen Erwägungen über
sein „Pech“ gesellte sich in der späteren Zeit, insbesondere als der wohl schon
seit zehn Jahren durch eine nicht rationelle Lebensweise erworbene Herzfehler
sich fühlbar machte, die typische Vorstellung der klimakterischen Jahre, dass
seine Kraft gelähmt sei, dass er zurückgeblieben am Wege sitze, während eine
folgende Generation voran und neuen Zielen entgegenstürme. Es waren dies
freilich nur Stimmungen, die vorübergingen wie Wolken und weg waren, so bald
wieder der Pinsel in seiner Hand „lebte“. Sie griffen nicht sein inneres Wesen
an und er saß darum nicht vergrämt und verbittert im Winkel. Wenn er nicht zur
vollen Wirkung gelangte, und viel zu frühe abgerufen wurde, sein kurzes Leben
war reich genug an schönen Früchten und glücklich genug in der Betätigung und
in dem Genuss einer harmonisch begabten Persönlichkeit.
Einen eigentümlich wehmütigen Eindruck
gewährt es, den Raum zu betreten, in welchem Piglhein die letzten Jahre vor
seiner Erkrankung gearbeitet hat, das Atelier in der Künstlerkolonie an der
Schwanthaler Strasse Nr. 77, zu dem der Meister zu seinen Lebzeiten nur dem den
Zutritt öffnete, der auf dem letzten Treppenabsatz als Erkennungszeichen das
Siegfriedmotiv pfiff.
Es ist ein weiter hoher Raum, von dem
aus man durch einen Säuleneingang in ein kleines getäfeltes Gemach gelangt, wo
der wohlgeordnete Schreibtisch sich befand und wo auf niederen Divanen die
Besucher empfangen wurden. Vor den Stufen zu diesem Schreibzimmer, im Atelier,
steht die Gipsstatue des vatikanischen Athleten in natürlicher Größe, von der
Decke herab hängt ein riesiger chinesischer Schirm, unter dem zwei ausgestopfte
Raben flattern, über dem Fries des Säuleneingangs prangt ein Tigerskelett, da
und dort liegen Löwenfelle, Gipsmasken, Mappen, Stoffe und was man sonst in
Ateliers zu treffen pflegt, aber das Ganze ist ein echter Arbeitsraum gewesen,
kein Raritätenkabinett. Zuerst fallen die Portraits, fertige und unfertige,
bekannter Münchener Persönlichkeiten in die Augen: ein ausgezeichnetes
Pastellbild der Gattin des Künstlers, Portraits der Frau Schäuffelin, der
Gräfin Almeida, der Gräfin Torri, Skizzen zu den Krupp’schen Kindern u. A. Das
lebensvolle Bild seines Bruders in Hamburg soll eines der letzten Werke gewesen
sein, an denen er arbeitete.
Fertige Staffeleibilder sind im
Übrigen nur wenige vorhanden. Die aus älterer Zeit lehnten, wie vergessen,
abgekehrt an der Wand, von denen aus neuerer Zeit verdient insbesondere die
wunderbar ausgeführte Nymphe im Grünen, nach einem Schmetterling haschend
(1889), mit ihrem feinen Samtton, dann ein vorzüglicher weiblicher Akt „Im
Atelier“ (1890) Erwähnung. Hoch von der Wand herab grüßt auch, mit dem
Lorbeerkranz in der Hand, die bekannte Bavaria, begleitet von ihren Getreuen,
dem so genannten Bayerischen Löwen und dem Münchener Kindl. Es ist ein helles,
heiteres Dekorativbild, das man aber lieber im Münchener Rathhaus sehen würde.
Der Künstler hatte es als Huldigung aus Anlass des siebzigsten Geburtstagsfestes
des Prinz-Regenten angefertigt.
Demselben Ideenkreise gehört auch die
flüchtige Skizze eines anderen Stoffes an, der den Maler lange beschäftigte,
einer in den Wolken thronenden Patrona Bavariae, die, auf die bayerischen Alpen
zu ihren Füßen, mit der Zugspitze, gleichsam als Wahrzeichen, in der Mitte,
hernieder blickt. Piglhein war seinem Adoptivlande Bayern von Herzen zugetan.
Als die Parteigegensätze in der Künstlerwelt sich zuspitzten, als man zum
Äußersten übergehen wollte, als davon die Rede war, lebenskräftige Keime dem
Boden zu entziehen, auf dem die deutsche Kunst so tiefe Wurzeln geschlagen hat
und auf dem sie trotz Allem, mehr als anderswo, ihre Lebensbedingungen fand, da
traf ich ihn tief bekümmert und nie hätte er es über sich gebracht, seinem
München dauernd den Rücken zu kehren.
Der Regent erwies dem Heimgegangenen
besondere Huld, er besuchte ihn häufig in seinem Atelier, zog ihn oft an seine
gastliche Tafel und stellte ihm in seiner Krankheit alle Delikatessen des
Hofkellers zur Verfügung. Als er dann auch an seinem Krankenlager erschien, da
vermochte Piglhein kein Wort hervorzubringen und nur die hervorbrechenden
Tränen verrieten seine tiefe Bewegung.
Auch an anderen Skizzen und Entwürfen
fehlte es in der verlassenen Werkstatt nicht. Wir bemerkten u. A. eine Flucht
nach Ägypten, welche für die Ausstellung der Sezession bestimmt war. Hart am
Eingang eine Skizze des „toten Karnevals“ – ein melancholischer, ächt
künstlerischer Gedanke! – Prinz Karneval ist als Pierrot gedacht der im
Morgenzwielicht auf der Strasse verendet, während der Wind über ihn hinweht und
winterliches Schneegestöber ihn bedeckt und begräbt. – Mancher Entwurf stand in
Piglhein’s Geiste, Vieles wollte er noch ausführen. – Als er aus
Gesundheitsrücksichten die Präsidentenschaft der Sezession niederlegte,
lächelte ihm die Hoffnung, fortan nur mehr seinem Atelier und seinem traulichen
Heim zu leben. Aber - -
„Was sind Hoffnungen, was sind
Entwürfe,
„Die
der Mensch, der flüchtige Sohn der Stunde,
„Aufbaut
auf dem betrüglichen Grunde?“ –
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