DIE PIGLHEIN-AUSSTELLUNG IM MÜNCHNER
KUNSTVEREIN
MONATSHEFTE FÜR FREIE u. ANGEWANDTR KUNDST, 1908, IX JAHRG. HEFT 7,
APRIL
Am 19. Februar hätten wir
BRUNO PIGLHEIN’S 60. Geburtstag gefeiert, wäre uns dieser an Begabung, Können
und Gesinnung gleich hochstehende Maler nicht lange vorher durch frühen Tod
entrissen worden. Die Witwe des Künstlers hat diesen Gedenktag in pietätvoller
Weise durch die Veranstaltung einer großen Ausstellung von Werken Bruno
Piglheins im Münchner Kunstverein gefeiert, die überraschend starken Eindruck
macht. Sie umfasst eine Anzahl seiner berühmten großen Werke und eine Menge
kleinerer Arbeiten, Stichproben aus seinen verschiedensten Entwicklungsstufen.
Und sie weckt in allen Verständigung, wohl die gleiche Bewunderung für den
großen Zug und den Umfang dieses Talentes – vielleicht auch ein leises Gefühl
von Beschämung darüber, dass man in den letzten zehn Jahren immer weniger an
Bruno Piglhein gedacht hat. Er ist 1894 gestorben, also noch nicht lange genug
tot, um wieder entdeckt zu werden und schon zu lange begraben, um mit der
schnelllebigen Jetztzeit noch in unmittelbarem Berührungskontakt zu stehen. So
kommt die schöne Ausstellung eben zur rechten Stunde. Wie mächtig spricht uns
wieder das grandiose „Moritur in Deo“ an! Nicht nur durch den kühnen Wurf der
Komposition, auch durch die innere Glut der Malerei, einer Malerei, die so gut
ist, trotz des vielen Schwarz und Braun in den Tiefen! Die
Unterweltsbeleuchtung der Szene, dieses ganze Gewölk in seiner düsteren
Sonnenfinsternisstimmung ist mit hoher Meisterschaft gegeben. Und im Schwung
der Linien herrscht eine wahrhaft ekstatische Leidenschaftlichkeit. Ein wenig
kühler mutet heute „Die Blinde“ an. Die stille Schönheit der Figur leidet unter
der etwas lauten Sensation ihrer glutroten Umgebung. Man muss den Blick
förmlich gewaltsam auf die schreitende blinde Frau konzentrieren und das
Mohnfeld ringsherum vergessen, will man inne werden, wie schön jene gemalt; wie
wahr das Spiel der heißen Abendsonne auf dem blauen Gewand und den
Fleischpartien zum Ausdruck gebracht ist. Die „Grablegung“ aus der Pinakothek
wirkt dagegen noch in ihrer vollen Größe – ein Werk, das eigentlich so gar
nicht in eine Galerie passt, sondern in den stillen, feierlichen Raum einer
Kirche gehörte, wo keine fremden Töne die friedvolle Ruhe dieser Darstellung
störten. Von frühen Ölbildern Piglheins ist u.a. zu sehen: ein heiteres
Strandidyll mit badenden Kindern und Frauen, das berühmte zärtliche
Kentaurenpaar am stürmischen Meer*, eine unvollendete Szene mit Kentauren,
Männlein und Weiblein im seichten Wasser des Meeresufers. Ein frühes
Selbstbildnis schildert den jungen Künstler mit seinem Hund in noch
„altmünchnerisch“ schwarzer und asphaltreicher Malerei, ein Frauenbildnis etwa
aus derselben Zeit ist von gleicher Art und ist wie jenes innerhalb dieser
bescheidenen dunklen Farbenskala doch voll und schön in Kolorit. Von
imponierender Verve ist die kühne Tigerstudie, ist das Löwenkonterfei, ist auch
das Bild der weißen Bulldogge. Den charmanten „Boxel“ mit den Damenschühchen
haben wir erst jüngst in der Diezschülerausstellung gesehen. Nicht ganz so
interessant wirkt das zahmer gemalte Familienporträt von braunen Hühnerhunden.
Eine große „Flucht nach Ägypten“, ohne Gewaltsamkeit sehr eigenartig aufgefasst
und von wunderbar verklärter Schönheit der landschaftlichen Stimmung blieb
leider unvollendet, Die eleganten Bildnisse von des Künstlers Gattin sind
bekannt. Zum anziehendsten und zu dem, was Piglheins Können und großzügiges
Wesen am deutlichsten ausspricht, gehören die beiden Bilder mit dem nackten
Knaben, das dunklere, skizzenhaftere, wie das frischer und heller gehaltene mit
dem lichtblauen Seidenkissen, das den Einfluss von Piglheins „Pastellepoche“ in
seiner Farbe verrät. Es steckt Rubenssches Wesen in diesen blühend schönen
Kinderleibern. Auch Pastelle sind in großer Zahl ausgestellt – das, was die
große Menge für das Piglheinischste an Piglhein gehalten hat und das was doch
nur eine Episode in seiner Entwicklung, die spielerische Nebenarbeit eines ernsten
Mannes bedeutete, dessen Sinn in Wahrheit nach viel tieferen Aufgaben stund.
Die pikante „Diva“, die einst so viel Aufsehen gemacht, das nackte Kind mit dem
Hund am Wasser, durch Massenproduktion überbekannt, das Aktmodell mit dem
Atelierstilleben, das putzige „Münchner Kindl“ und ein paar Tafeln aus dem
Zyklus eleganter Frauentypen, die einst in der „Piglheinmappe“ auf jedem
Salontisch prangten, lassen uns auch heute die große technische Meisterschaft
bewundern, mit der das spröde Material beherrscht ist. Piglhein arbeitete
breiter, leichter, malerischer damit als irgend ein anderer – aber die Sache
selbst verdiente doch kaum seine volle Liebe! Bedeutsamer als jene leicht mit
dem Hauch der Halbwelt parfümierten Bilder ist eine Reihe mit wenig Farbe schnell,
kräftig und sicher hingeschriebener Pastellköpfe, darunter ein Porträt von Hugo
von Habermann, eine Sarah Bernhardt. – Die letzte Arbeit des damals schon
schwer leidenden Meisters, ein Ölbild mit zwei, einen Hügel herabkommenden
Damen ist auch wehmütig genug. Es zeigt den Maler an einem Wendepunkt seiner
Darstellungsweise, im Begriff, den letzen Rest akademischer Anschauung
aufzugeben, noch lichter, freier und farbiger im modernen Sinn zu werden. Die
unfertige Arbeit ist 1893 entstanden. Im Juli 1894 ward Bruno Piglhein
begraben.
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*Anmerkung: Im Kunsthaus
Zürich. R.W.