Das
Panorama, Geschichte eines Massenmediums
Das Panorama von Jerusalem und die Kreuzigung Christi
Als Reaktion auf die Geschäftspraktiken der Belgischen Panoramagesellschaft, aus einer gewissen patriotischen Verstimmung heraus, weil diese in ihrer Münchner Filiale nach dem von L. Braun gemalten Panorama der Schlacht bei Weissenburg nur mehr belgische Bilder zur Ausstellung bringen wollte, kam es am 1.Februar 1885 zur Gründung einer neuen Panoramagesellschaft durch Josef Halder (München) und Franz Josef Hotop (Dresden). Bei der Suche nach einem geeigneten Motiv verfiel man auf die Kreuzigung Christi, zu deren panoramatischer Ausführung der zu Rate gezogene Maler K.H. Frosch spontan Bruno Piglhein vorschlug. Piglhein (1848-1894), ursprünglich Plastiker, hatte sich als Maler zunächst an Dekorationen im Makart-Stil, dann an Ölgemälden in der Manier Böcklins versucht, um zuletzt in der Kunstwelt einiges Aufsehen zu erregen mit seinen pikanten Pastell-Bildnissen von Damen einerseits (>...unter deren vielen lobenswerten Eigenschaften die der Unbescholtenheit nicht zu finden war<, wie es ein Kritiker zu umschreiben suchte) und andererseits mit religiösen Monumentalbildern, wie etwa der >Sterbende Christus<, >Madonna< oder >Moritur in Deo<, mit denen er wohl insgeheim zu Munkácsy in Konkurrenz zu treten versuchte.
Für eine Pauschalsumme von 145 000 Mark (von der er
allerdings seine Mitarbeiter zu entlöhnen hatte) nahm Piglhein den Auftrag, ein
Kreuzigungs-Panorama zu malen, an. Während in der Goethestraße 45 in München
mit dem Bau einer rotunde begonnen wurde, unternahmen Piglhein und seine
Mitarbeiter, der Architekturmaler Karl Hubert Frosch, der Landschaftsmaler
Josef Krieger sowie ein vierter, ungenannter Maler, der aber bald wegen
„Unfähigkeit“ entlassen wurde, im Frühjahr 1895 eine mehrmonatige Studienreise
nach Palästina. Neben den Empfehlungsschreiben der Päpstlichen Nuntiatur und
des Erzbischofs von München war der Photoapparat, „der unentbehrliche, alles
notierende Begleiter“, ihr wichtigster Ausrüstungsgegenstand. Dank ihm konnten
die Maler, inzwischen wider nach München zurückgekehrt, innerhalb kürzester
Zeit den Entwurf für das Panorama vorlegen. Bei den Arbeiten im großen, die am
25. August 1885 begannen, fanden noch zwei weitere Maler, Adalbert Heine und
Joseph Block, letzter ein Schüler Piglheins, Beschäftigung. Nachdem zunächst
die Vorzeichnung mittels Projektion auf die 120 m lange und 15 m hohe, in einem
Stück gewebte Brüsseler Leinwand übertragen worden war, wurden die Konturen in
den entsprechenden Lokaltönen dünn ausgemalt. Für den wolkenlos blauen Himmel
wurden 500 Kilogramm Kremser Weiß und 70 Kilo Ultramarin gemischt und in 90
Schattierungen sorgfältig ausgestrichen. Dann begann die Ausführung im Detail.
Nach insgesamt neun Monaten Arbeit konnte das >Panorama von Jerusalem mit
der Kreuzigung Christi, gemalt von Prof. Bruno Piglhein< am 30. Mai 1886
feierlichst eröffnet werden.
Das Unternehmen war von Anfang an gewagt gewesen; wenige
Jahre zuvor hatte der Belgier Juliaan deVriendt mit einem Kreuzigungs-Panorama
finanziell Schiffbruch erlitten; bisher waren – zumindest in Deutschland –
ausschließlich Schlachtenpanoramen gezeigt worden und die öffentliche Meinung
ging dahin, dass Schlachten auch das einzig adäquate Thema zu Rundgemälden
seien; in München hatte es, als trotz aller Vorsichtsmaßnahmen durchgesickert
war, welches Sujet in der neuen Rotunde zu einem Panorama verarbeitet werden
sollte, schon einige Kritik im voraus gegeben. Jetzt allerdings, nachdem das
Bild in Augenschein genommen worden war, war man allgemein begeistert. In der Kunstchronik
z.B. hieß es:
>Eine künstlerische Leistung ersten Ranges . . . Eine künstlerische Leistung, vor der man ohne Zaudern sagen kann: Hut ab! . . . Die Wirkung des entrollten Bildes ist eine gewaltige, erschütternde, das Ganze ein künstlerisch so reifes Werk, dass man mit Freuden sagen kann: noch hat der öde Impressionismus nicht alles Terrain erobert, noch sind sie nicht alle Naturabschreiber geworden, wobei allerdings die Kopie oft verdammt viel lückenhafter und geringer ist als die Originalhandschrift selbst.<
Eine ausführliche Beschreibung des Bildes lieferte Ludwig in
der populären Zeitschrift Ueber Land und Meer:
>. . . Beim ersten Betreten des Podiums, welches auf
einer Anhöhe neben dem Golgathahügel gedacht ist, stutzten wir etwas ob der
Dämmerung, die uns umfing; das eben aus dem Sonnenlicht der Straße gekommene
Auge musste sich erst daran gewöhnen, bis allmählich die malerische Wirkung, deren
schleierhaftes Dunkel durch die während der Kreuzigung Christi herrschende
Sonnenfinsternis gerechtfertigt ist, wie aus einem Nebel heraustrat. So
erfassten wir, wenn auch langsam, die eigentümliche Stimmung in der
Beleuchtung, welche von jenen eigentümlich kalten Tönen beherrscht wird, die
unser Auge beispielsweise dann wahrnimmt, wenn die grelle Sommersonne hinter
Gewitterwolken tritt. Nach kurzem Verweilen ist man Herr dieser Stimmung und
sagt sich, dass es so sein muss. Zergliedern wir nun dieses Piglhein’sche
Kunstwerk – denn ein solches ist es im edelsten Sinne des Wortes – in
Landschaft, Architektur, figurale Scenerie und Perspektive, so finden wir,
diese Faktoren zunächst zusammengefasst, unsere Erwartungen nicht nur erfüllt,
sondern übertroffen. Piglheins Panorama der Kreuzigung Christi ist ein
gelungenes, das Künstler- und Laienauge hoch befriedigendes Meisterwerk. Die
Lobesposaune verstummt vor der erhabenen Karfreitagsruhe, die uns umfängt. Das
Bild bemächtigt sich seiner rührenden Heiligkeit unserer herzen. Es muss hier
nochmals wiederholt werden, dass das Gesamtgemälde in allen Einzelheiten
Erzeugnis lautester Wahrheit ist; gewissenhaft an der Hand der neuesten
biblischen Forschung, die Professor Sattler in München dem Künstler
vermittelte, führt derselbe uns in monumentaler Ruhe den 7. April des Jahres 29
unserer christlichen Zeitrechnung vor Augen, jenen Freitag, welcher die
aufgeregte Bevölkerung Jerusalems vor die Thore der Stadt lockte, jene Stunde,
welche ein festgefügter Markstein in der Geschichte die ewige Wahrheit der
Liebe und Versöhnung allen Menschen kündet. Und ein Abglanz dieser Wahrheit
ruht über dem Bilde. Da ist kein Baum, keine Straße, kein Hügel, kein
Mauerwerk, keine Tempelzinne, die nicht ihre Berechtigung hätte. Wer eine üppige
Landschaft, eine architektonische Prachtstadt in Salomonischer Herrlichkeit
erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein; wir sehen eine sterile Gegend, eine
dürre, sonnenversengte Vegetation, nackte, zerstückelte Felsen und eine Stadt,
architektonisch aufgeschichtet wie ein Trümmerhaufen, aber es bedarf keines
feinfühligen Auges, um den ganzen künstlerischen Reiz dieser charakteristischen
Ansicht zu empfinden, die Gesamtwirkung, hervorgebracht durch die denkbar
einfachsten Mittel, spottet jeder Beschreibung, und die Feder vermag den
Besucher des Panoramas wohl vorzubereiten, aber niemals den Eindruck
wiederzugeben, welcher durch Landschaft, Farbengebung, Stimmung,
Luftperspektive bis hinaus zu jenen fernen Olivenhainen und lichten, von der
herrschenden Sonnenfinsternis noch unberührten Thälern und Hügeln, die den
Horizont begrenzen, in uns wachgerufen wird. Was den Eindruck der Wahrheit
erhöht, ist zunächst der bei allen Panoramen übliche plastisch aufgeschichtete
Vordergrund, welcher den Uebergang zur bemalten Leinwand mit einer nichts zu
wünschen übrig lassenden Naturtreue sozusagen überbrückt. Gleich beim Betreten
des Podiums sind wir einer völligen Sinnestäuschung preisgegeben , welche die
Beschauer nicht empfinden, wenn sie nicht eigens darauf aufmerksam gemacht
wurden: nämlich die gemalten Reste einer orientalischen Mühle finden ihre
Ergänzung in wirklichen Steintrümmern, die sich derartig in den Vordergrund
hereinziehen, dass man von dieser aus Steinen aufgeschichteten Pyramide die
gemalten Partien absolut nicht als solche zu unterscheiden vermag. Es fehlt
jede Grenze für den Unterschied, man sieht sich unmittelbar in die Landschaft
versetzt . . .<
Selbst Richard Muther, einer der damaligen Päpste der
Kunstkritik, der sonst der Meinung war, dass „Panoramen . . . im Allgemeinen
für die Kunst ziemlich gleichgültige Dinge“ seien, musste zugeben, dass
„Piglhein . . . mit seiner ‚Kreuzigung Christi’ . . . der Panoramenmalerei neue
Bahnen eröffnet habe“, denen er seine Anerkennung nicht versagen könne. In der Zeitschrift
für bildende Kunst widmete er dem Maler einen langen Artikel, in dem es zu
dem Panorama u.a. hieß:
>Das Panorama bezeichnet einen Triumph der modernen realistischen Kunst. Erst das Jahrhundert der exakten Wissenschaft, der Photographie und der Eisenbahnen ermöglichte die umfassenden Studien, welche die wissenschaftliche Grundlage des großen Werkes bilden. Nur ein Künstler, der an Ort und Stelle die gründlichsten landschaftlichen, volkstypischen, und archäologischen Forschungen gemacht hatte, vermochte den unzählige Male dargestellten Gegenstand in so durchaus neuer Weise behandeln. Aber dies gründliche Wissen ist überall mit einem eminenten Können, einer groß veranlagten Phantasie und feinstem künstlerischen Empfinden gepaart . . . Man kann sich der Empfindung nicht erwehren, dass man hier in der That einem Künstler von Gottes Gnaden gegenübersteht . . .<
Wo die Kritiker lobten, mochte das Publikum nicht zurückstehen und machte die Investitionen der Fa. Halder & Co. zu einer der lukrativsten in der Geschichte der Panoramenmalerei im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Ein fleißig mit Bibelsprüchen unterernährter „Führer“, verfasst von Maximilian Vincent Sattler, kgl. Professor und Vorstand der Dreifaltigkeitskirche in München, erleichterte die Erbauung ungemein. In diesem Heftchen liest man, in drei Sprachen, gleich auf Seite 2:
>Zur gefälligen Beachtung.
Zur völligen Würdigung der künstlerischen Ausführung des
Gemäldes wird die Benützung von Ferngläsern dringend empfohlen. Leihgebühr 20
Pfge.<
Ebenfalls an der Kasse erhältlich waren die unterschiedlichsten Reproduktionen des Panoramas für jeden Geldbeutel; von der preiswerten Teilreproduktion bis zur Prachtausgabe in 12 Lichtdruck-Folioblättern.
In München war dieses Panorama fast drei Jahre zu sehen: von
Mai 1886 bis Anfang 1889; dann folgte eine Ausstellung in Berlin (von April
1889 bis Ende 1891). Danach sollte das Bild eigentlich für einige Jahre in
London ausgestellt werden, wozu es aber aus Gründen, die im folgenden näher
berichtet werden sollen, nicht kam; statt dessen sah man das Bild in Wien, wo
es kurz nach der Eröffnung verbrannte.
Die
Wiederholungen von Piglheins Panorama für Amerika und ein aufsehenerregender
Rechtsstreit
Nach dem ungeheuren Erfolg, den Piglheins Panorama von Jerusalem in Deutschland hatte, ergingen von verschiedenen Gesellschaften Anfragen an die Künstler, das Bild für nordamerikanische Rotunden noch einmal zu wiederholen. Bruno Piglhein war durch den Kontakt mit der Firma Halder & Hotorp gebunden, innerhalb der nächsten 10 Jahre kein Panorama mit gleichem Thema „weder für sich, noch im Auftrag einer anderen Person“ herzustellen. Zur Sicherung dieses Vertragpunktes wurde der Künstler verpflichtet, die Glasplatten und Tuschezeichnungen, die zur Übertragung der Zeichnung auf die große Leinwand gedient hatten, bei der Fa. Halder & Co. zu deponieren. Piglhein selbst musste also derartige Aufträge ablehnen. Statt dessen ging Karl Frosch nach Amerika und führte dort insgesamt dreimal, u.a. für die Buffalo Cyclorama Company, ein Panorama der Kreuzigung aus. Während er selbst die Architektur übernommen hatte, waren zwei andere Maler, die nach Amerika ausgewanderten Deutschen Wilhelm Heine und August Lohr, für Figuren und Landschaft verantwortlich. Angeblich geschah das mit Wissen der Münchner Panoramagesellschaft, zumindest dürften ihr derartige Unternehmungen rasch zu Ohren gekommen sein. Sie unternahm jedoch nichts, vielleicht weil man über eine so große Entfernung keine Geschäftsschädigung befürchtete. Eine Klage hätte auch kaum etwas gefruchtet, da Karl Frosch von Piglhein und nicht von der Fa. Halder & Co engagiert worden, also nicht kontraktmäßig gebunden war. Außerdem bestand damals noch kein Staatsvertrag zwischen Deutschland und den USA bezüglich der Berner Konvention zu Schutze von Kunstwerken.
Solange die Einnahen für das Original-Piglheinsche Panorama
in der kasse klingelten, war jedermann zufrieden. Ärger gab es erst, als in
Deutschland mit den Rundgemälden kein rechtes Geld mehr zu verdienen war und
die Fa. Halder & Co 1890 mit dem englischen Unternehmer Fishburn Brothers
aus North-Shields Vertrag schloss, der diesem gestattete, gegen hohe Miete
selbstverständlich, das Panorama von Jerusalem ab dem 1. Januar 1892 auf
mehrere Jahre in England zu zeigen. Die britische Firma erwarb umgehend unter
großen Kosten ein Grundstück zum Bau einer Rotunde in London und begann sofort
mit den notwendigen Arbeiten. Unangenehm überrascht waren die Fishburn
Brothers, als am 23. Dezember 1890 in der Niagarahall, also ganz in der Nähe
ihrer im Entstehen begriffenen Rotunde, begleitet von einem ungeheuren
Reklamerummel, ein Panorama von Jerusalem mit der Kreuzigung Christi, „Painted
from the celebrated Munich Painter Charles Frosch“ zur Ausstellung gelangte und
zu einem beispiellosen Kassenerfolg wurde: „Bei einem Eintritt von 1 Shilling wurden 1500-200 M. pro Tag
verdient“, d.h., da damals 1 Shilling ca. 1 Mark entsprach, dass 1500 bis 2000
Personen täglich sich in die plagiierte „Kreuzigung“ drängelten. Kein Wunder,
dass Fishburn Brothers sich geprellt fühlten und gegen die Aussteller „The
Buffalo Cyclorama Company“, bzw. deren Generaldirektor John Hollingshead, Klage
auf sofortige Schließung der Ausstellung erhoben. Die Beklagten versuchten sich
jedoch mit immer neuen Ausflüchten aus der Affäre zu ziehen, indem sie z.B.
Aussagen von karl Frosch (der gerade in Holland, das ebenfalls die Berner
Konvention nicht unterzeichnet hatte, an einer weiteren Kopie des Panoramas für
Amsterdam arbeitete) beibrachten, in denen er behauptete, das Original-Panorama
sei zu gleichen Teilen von ihm, Josef Krieger und „one named Br. Piglhein“
gemalt worden, er sei durch keinen Vertrag gebunden und betrachte die
Architektur und die archäologische Rekonstruktion der antiken Stadt als sein
alleiniges Werk und nichts anderes habe er bei dem amerikanischen Panorama
ausgeführt. Der Generaldirektor Hollingshead verstieg sich gar zu der
Behauptung, das deutsche und das amerikanische Panorama hätten überhaupt nichts
miteinander gemein. Das allerdings wurde rasch durch den Vergleich von
Photographien, die man in der Niagarahall gemacht hatte, mit den von Piglhein
aus München eingesandten Zeichnungen widerlegt; außer ein paar figuralen
Änderungen waren beide Rundgemälde nahezu identisch. Das hatte die amerikanische
Gesellschaft natürlich längst gewusst; ihre Taktik war es, Zeit zu gewinnen und
das Panorama in der Niagarahall unterdessen Geld verdienen zu lassen. Was auch
gelang. Als am 4. Februar dann das Urteil erging, gegen das die beklagte Partei
selbstverständlich sofort Berufung einlegte, hatte man an die 100 000 Mark
verdient.
In Deutschland, besonders natürlich in München, verfolgte
man diesen Prozess, der über einen Präzedenzfall zu entscheiden hatte, mit
großer Aufmerksamkeit, und die Zeitungen berichteten ausführlich. Wie das
Urteil in der zweiten Instanz entschieden wurde, ob die amerikanische
Gesellschaft zu einer Geldstrafe verurteilt wurde oder nicht, ließ sich nicht
ermitteln. Bruno Piglheins originales Panorama kam jedenfalls nicht mehr (oder
nur kurz) nach London.
Mit dem Brand der pompösen Ausstellungsrotunde im Wiener
Prater, bei dem das Panorama von Jerusalem vollständig zerstört wurde, war, so
sollte man meinen, die Geschichte dieses Rundgemäldes zu Ende – aber sie sollte
nun erst richtig beginnen. Insgesamt wurden in der Zeit von 1884 bis 1903
mindestens dreizehn oder vierzehn Kreuzigungs-Panoramaen hergestellt: Das
erste, noch vor 1886 entstandene Bild, wie gesagt, von Juliaan deVrient für
Belgien gemalt, stellte sich als finanzielles Fiasko heraus und verschwand
rasch wieder; das zweite war das von Piglhein; Nummer drei bis fünf hatte C.
Frosch zusammen mit F.W. Heine und A. Lohr in Amerika gemalt (Nr. 3 war das für
die Buffalo Cyclorama Company, das in London den Rechtsstreit auslöste, Nr. 4
wurde für die Jerusalem Panorama Company in New York angefertigt und Nr. 5 sah
man 1890 in Philadelphia); unabhängig von Frosch, der inzwischen an Nr. 6 für
Amsterdam arbeitete, malten Heine und Lohr die Ausgabe Nr. 7 für Milwaukee; von
Paul Philippoteaux hat sich das Panorama „Crucifixion“ in Ste. Anne de Beaupré
bei Quebec erhalten, das wäre Nr. 8; nach dem Brand der Wiener Rotunde wurde
das Panorama 1893 für den Wallfahrtsort Einsiedeln in der Schweiz (Nr. 9) und
für Stuttgart (Nr. 10) und 1903 noch einmal für Aachen (Nr. 11) wiederholt;
Urheber war jedes Mal das inzwischen gut eingespielte Team
Frosch/Krieger/W.Leigh. Bötticher schreibt dazu empört:
>Durch den ungetreuen Gehilfen Piglhein’s den Maler K. Frosch, wurde das Panorama neunmal reproduziert und in mehreren Städten Amerikas, in London und Antwerpen ausgestellt.<
Wenn diese Angaben Böttichers stimmen, kommen noch vier weitere Panoramen zu unserer Aufstellung dazu, die sich bisher nicht genau ausmachen ließen (Nr. 12 – 15). Als Nummer 16, und letztes bekanntes Kreuzigungs-Panorama, entstand das für den Wallfahrtsort Altötting in Bayern. Hier hatte Gebhard Fugel die Leitung, aber vom alten Team war immerhin noch Josef Krieger mit von der Partie.
Zumindest seit dem Plagiatsskandal um das bild Piglheins
bemühten sich die Maler – soweit das bei der Wahl des gleichen Themas und den
topographischen Gegebenheiten des alten Jerusalem überhaupt möglich war -,
keine allzu offensichtlichen Kopien anzufertigen. Von den in direkter Nachfolge
Piglheins in Deutschland entstandenen Panoramen haben sich nur die beiden
Wallfahrtsorte bestimmten bis heute erhalten.
Das wohl letzte der ‚Wiederholungen’ von Piglheins Panorama von Jerusalem mit der Kreuzigung Christi dürfte die 1903 für den Wallfahrtsort Altötting in Bayern entstandene Version sein. Idee und Ausführung zu diesem Bild stammen von Gerhard Fugel (1863-1939), den man wegen seines ‚kraftvollen Realismus’, den er gegen die kitschig-süßlichen Religionsmalereien seiner Zeit wandte, den ‚Erneuerer der christlichen Kunst’ nannte. Von Fugel stammt nicht nur die Anregung zu diesem von keiner Seite in Auftrag gegebenen Rundbild, er übernahm auch die Produktionskosten für das 12 m hohe und 95 m lange (=1130 qm) Gemälde, während nicht näher benannte ‚Freunde’ den Bau der einfachen Rotunde von 30 m im Durchmesser in Altötting finanzierten.
Als Mitarbeiter gewann Fugel, der selbst die Ausführung der
Figuren übernahm, die beiden Münchener Maler Karl Nadler und Joseph Krieger
(letzterer war ja bereits
Fachmann in Kreuzigungs-Panoramen). Die archäologische
Rekonstruktion des alten Jerusalem besorgte der Würzburger Zeichenlehrer H.
Ellenberger. Nach einem kurzen Studienaufenthalt von Nadler und Krieger, die
für Architektur und Landschaft zuständig waren, begann man, wohl in einem der
noch existierenden Münchner Panorama-Ateliers, mit der ein gutes Jahr dauernden
Ausarbeitung des Bildes, bei der man, wie schon bei den Vorarbeiten, größten
Wert auf Realismus legte, was gelegentlich etwas makabre Formen annahm:
> . . . Holzkreuze . . . waren im Atelier des
Künstlers aufgepflanzt und an ihnen waren Männer (‚Modelle’) befestigt und
diese Männer, geübt in ihrem für den Künstler unentbehrlichen Beruf, hatten für
das gute Geld des Malers wieder und wieder die von ihm gewollten Stellungen
einzunehmen und beizubehalten, bis dem Drang nach Vollendung der äußeren und
inneren Gestaltung, die ihm vorschwebte, genuggetan war. Glaubt man etwa,
solche Vorarbeiten seien für den Künstler ein Vergnügen? Sie sind eine Last,
eine Qual, ein Opfer, aber auch eine Notwendigkeit. Sage man ja nicht, das sei
ein ‚Abschreiben’ der Natur und für das ideale Schaffen bleibe hier kein Raum.
Das hieße die Grundlage des idealen Schaffens verkennen . . .<
Als das Panorama 1903 der Öffentlichkeit übergeben wurde,
war man in der christlich-katholischen Welt durchaus geteilter Meinung: die
einen meinten, dass das Panorama „die Wallfahrer in ihrer Andacht stärkt und
ihnen zugleich einen erhabenen Kunstgenuss bereitet“, andere fragten:
>Wo bleiben Kunst und Religion, wenn der Führer des Panoramas etwa an einer gewissen Stelle des Rundgangs seine Zuhörer auffordert, ‚eine steinerne Treppe zu beachten, bei der es der Künstler in wunderbarer Weise verstanden habe, Kunst und Wirklichkeit unmerklich ineinander übergehen zu lassen’.<
Der Führer ist heute, da der Freistaat Bayern das Panorama als ‚begehbares Raumkunstwerk’ deklariert und unter Denkmalschutz gestellt hat, durch eine schnarrende Lautsprecheranlage ersetzt – der Hinweis ist geblieben, und eine stumme alte Frau passt auf, dass man die Treppe auch nicht kaputtmacht.
Von allen Themen, die zu Panoramen verarbeitet wurden, ist
das der Kreuzigung, wohl das heikelste und fragwürdigste. Die Kreuzigungsszene
ist in allen diesen Panoramen ganz traditionell aufgefasst, so wie man sie aus
Tausenden von Bildern kennt, und steht dadurch in unangenehmen Kontrast zum
übrigen im Panorama Dargestellten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
dass hier dem Betrachter durch den frappanten Realismus der Darstellung und
durch die vorgebliche historische Treue eine Glaubenssache als Realität
untergeschoben werden soll. Der falsche Ton in diesen Panoramen ist nicht zu
‚überhören’. Das trifft speziell für das Altöttinger Bild zu; daran mag zum
großen Teil die ganze Atmosphäre des umgebenden Wallfahrtsortes schuld sein.
Mit Sicherheit ist dieses Rundgemälde aber von allen bis heute erhaltenen in
jeglicher Hinsicht das muffigste. Die gedruckte Broschüre zu diesem Bild
behauptet, der verdunkelte Gang, der auf die Betrachterplattform führt,
versinnbildliche „den Weg in eine ‚andere Welt’“.
. . . Das letzte im sogenannten ‚Neuen Panorama’ ausgestellte Rundgemälde war Piglheins „Kreuzigung Christi“, über die an anderer Stelle ausführlicher berichtet wurde.
In der Nacht vom 26. zum 27. April 1892 – Piglheins Panorama
war, von London kommend, kaum zwei Monate ausgestellt – brach in dem Gebäude
ein brand aus. Die Feuerwehr, der gegen 0 Uhr 45 die Anzeige eines
‚Zimmerbrandes’ zugegangen war, hatte bereits zwei Stunden später, nachdem sie
aus fünf Schläuchen Wasser in die Rotunde gepumpt hatte, den Brand so weit
unter Kontrolle, dass die Nachbargebäude außer Gefahr waren. Als am Morgen der
Brand endgültig gelöscht war, standen nur noch rauchende Trümmer; während die
Eisenkonstruktion trotz der Hitze standgehalten hatte, war die Zwischendecke
eingestürzt und das Mauerwerk z.T. stark beschädigt; vom Rundgemälde selbst war
nur Asche übrig geblieben. Die Brandursache konnte nie befriedigend geklärt
werden. Zuerst hatte man angenommen, eine fortgeworfene Zigarette (im Panorama
war Rauchen strikt verboten!) habe im Untergeschoss, das abwechselnd als Depot,
Hippodrom und Betsaal genutzt wurde, dort gelagertes Heu in Brand gesetzt. Als
sich herausstellte, dass das Untergeschoss seit längerem leergestanden hatte
und dort weder Heu noch sonst etwas gelagert worden war, verfiel man auf den
Gedanken, die ständig brennenden Gasflämmchen der Notbeleuchtung hätten das
Gebäude angezündet – auch diese Annahme musste wieder verworfen werden. Ein
kurz zuvor entlassener Bediensteter wurde verdächtigt, den Brand aus Rache
gelegt zu haben – er hatte ein Alibi. Am Ende einigte man sich offiziell, als
Brandursache eine Störung in der elektrischen Anlage anzunehmen. Die Anklage
gegen Ignaz Fleischer, den Besitzer des Panoramengebäudes, wegen Übertretung
des § 459 St.G. (‚allgemeine Strafbestimmungen für Handlungen oder
Unterlassungen, woraus Feuergefahr sich besorgen lässt’) wurde fallengelassen,
obwohl – wie eine Meldung der Allgemeinen Zeitung, München,
behauptete –die elektrische Anlage seit Tagen nicht mehr benutzt worden war und
am Morgen nach dem brand bei der ersten Untersuchung sogar noch funktioniert
haben soll (!?).
Das für nur 61 000 Gulden errichtete Gebäude war bei der Fa.
Phönix mit 100 000 Gulden gut versichert, die Fa. Phönix selbst war zu 85%
rückversichert. Der Auszahlung der Schadenssumme stand nichts mehr im Wege.
Alles in allem ein ‚sauberer Brand’, bei dem auch die Fa. Halder und Co., der
Piglheins Panorama gehörte, nicht schlecht wegkam: das Rundgemälde, das jetzt
schon zehn Jahre alt war und an dem das Publikum nach und nach das Interesse
verloren hatte, war mit 90 000 Gulden versichert, die auch voll zur Auszahlung
kamen. Herr Fleischer beeilte sich auch deshalb mit der Versicherung, er werde,
dank ‚Phönix’, in Kürze die Rotunde glänzender denn je aus der Asche entstehen
lassen. Doch daraus wurde nichts, angeblich scheiterte die Erteilung einer Baugenehmigung
am Einspruch der Anrainer.
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