Kunst für alle, II, 1886/7

Von einem Panorama

Max Bernstein




Noch niemals vorher, in seinem ganzen Leben nicht, hatte Hâna eine solche Ohrfeige bekommen. Er war im Tal des Jordan geboren; näher wusste man nicht, woher er kam. Die Reisenden hatten ihn von Jerusalem aus als Diener mitgenommen. Vieles Denken war des jungen braunen Burschen Sache nicht; aber er war gutmütig und willig, und zu allem zu gebrauchen. Wenn Bruno Piglhein seinen Bleistift verlor, so suchte ihn Hâna und gab ihn redlich zurück, ohne den Künstler zu fragen, welche der zwei Seelen, die in seiner Brust wohnen, die unsterbliche sei - die französische in Pastell oder die deutsche in Öl. Wenn der wehende Wind den Hut vom schönen Haupt der Frau Piglhein, die gerne in Karriere über die „gegebenen Flächen“ des Orients dahinritt, entführte, so brachte Hâna den verlorenen wieder. Wenn dem Landschaftsmaler Krieger ein Blättchen mit Umrissen orientalischer Gegenden verloren ging: Hâna fand es gewiss. Nun aber hatte der Architekturmaler Frosch verloren, was für das friedliche Zusammenleben der Menschen wichtiger ist als Bleistifte, Hüte und östliche Landschaften: die Geduld nämlich - und ehe sie wiedergefunden war, versetzte er dem guten Hâna eine Ohrfeige, die Ohrfeige eines Architekten, aus Stein gehauen.

Er war auch der Mühe wert - wenn man, wie ein philosophischer Betrachter irdischer Dinge tun soll, ihrer näheren und entfernteren Entstehungsursachen denkend erwägt . . .

Herr Joseph Halder in München fasste den Gedanken, die größte und erschütternste unter allen erhabenen Szenen der Weltgeschichte, die Kreuzigung Christi, als Rundgemälde darstellen zu lassen. Es war ein sehr glücklicher Gedanke. Die Panorama-Malerei hatte sich bis dahin zumeist mit der Schilderung berühmter Schlachten beschäftigt. Menschenmord, Streit und Hass waren ihre Gegenstände gewesen, von verödeten Feldern, brennenden Häusern, aufgehäuften Leichen als von zierlichen Arabesken umgeben. Die Verewigung und Verherrlichung solcher Dinge ist aber gewiss nicht das höchste Ziel aller Künste; und nun sollte - nach der Absicht des Herrn Halder und seines Sozius, des Herrn Franz Joseph Hotop in Dresden - die Rundmalerei, die jüngste unter den Künsten, in den Reigen ihrer älteren Schwestern eintreten dürfen mit dem rührenden Worte der Antigone: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da“. Nicht mehr dem Siege eines Feldherrn über einen anderen, eines Volkes über ein anderes galt es; vielmehr dem Siege der gewaltigsten Idee, welche die ganze Menschheit jemals hervorgebracht hat, des edelsten Gefühls, dessen der einzelne Mensch fähig ist.

Ein Triumph der Menschenliebe - das ist es, was in der „Kreuzigung Christi“, dem großen Opferfeste der Versöhnung, dem unsterblichen Beispiele des selbstlosen, freiwillig erduldeten Leidens für fremdes Glück, dargestellt werden musste. Wer sollte das malen? Die Wahl der Unternehmer fiel auf einen Münchener Künstler, Bruno Piglhein. Dass er zeichnen und malen könne, hatte er schon gezeigt: in jenen ungezählten Pastellbildern und Skizzen, die seinen Namen weithin bekannt gemacht haben. Ob er aber das malen könne? „Nein“ sagte, wem die weiblichen Köpfe und Gestalten ins Gedächtnis kamen, unter deren vielen lobenswerten Eigenschaften die Unbescholtenheit nicht zu finden war - die einen so guten künstlerischen Ruf und dennoch einen so schlechten Leumund hatten. „Vielleicht“ sagt, wer an die „Centaurenbilder“ und einige feine, vornehme Porträts und Bilder dachte. „Wahrscheinlich“ sagte, wer an den „Sterbenden Christus“, die „Madonna“, das „Moritur in Deo“ sich erinnerte.

Der Vorgang, den zu schildern jetzt seine Aufgabe war, hat weit weg von den Boulevards und Boudoirs, welche der Maler so gut kannte, stattgefunden, in einem fernen Land, in einer fernen Zeit. Die mussten nun studiert werden; die Bibel, die Geschichte, die Topographie, die Rekonstruktion des alten Jerusalem, die hierauf bezüglichen Arbeiten, unter welchen die Forschungen des Münchener Professors Max Vinzenz Sattler besonders bedeutend sind . . . Und vor allem musste er nicht nur lesen, sondern sehen, mit dem Auge des Malers, das bekanntlich besser, schärfer und anderes sieht als das der unmalerischen Adamssöhne. Das Geschaute technisch festzuhalten, technisch wiederzugeben, brauchte es Genossen, Mithelfende. Und so zogen Herr Bruno Piglhein mit seiner Gemahlin und die Herren Frosch und Krieger an einem Februartag des Jahres 1885 von München aus - ins heilige Land!

Das Schiff, welches sie von Triest nach Alexandria trug, lernte sie als Künstler kennen, als Künstler im Fache der Seekrankheit nämlich; und die Eisenbahn von Alexandria nach Kairo als eine Gesellschaft munterer, den Schrecken des Meeres entronnener Reisender. Auch auf der Fahrt von Kairo nach Jsmailia, von da nach Port Said war man sehr vergnügt in Erwartung der Dinge, welche kommen sollten. Was zunächst kommen sollte, kam allerdings nicht rechtzeitig - der Dampfer, welcher Port Said mit Jaffa verbindet. Erst nach einigem fahrplanwidrigen Warten wurde die Bekanntschaft mit der See erneuert. Das levantische Meer zeigte sich liebenswürdiger, als das adriatische und das ionische gewesen war. Mit frischem Mut setzte man sich in Jaffa in den Wagen, dessen gesprächiger deutscher Kutscher, aus der schwäbischen Templerkolonie, durch seine Mundart die Einbildung erwecken konnte, als bewege man sich auf der Straße zwischen Stuttgart und Cannstadt. Und nötig ist der Mut für unsere Weltwanderer - denn der Weg ist lang und schlecht (Herr Professor Piglhein bezeichnet ihn heute noch mit lakonischer Kürze und plastischer Klarheit als „die miserabelste Straße der Welt“), und die Federn des Wagens werden durch einen Bindfaden sinnreich aber nicht immer erfolgreich, zusammengehalten. Die Fahrenden erreichen Jerusalem in der Dämmerung, mit ebenso großer Ermüdung, doch weniger lautem Jubel als einst die Mannen Gottfrieds von Bouillon. Der erste Eindruck ist nicht günstig. Regen; alles grau, verwaschen, schmutzig. „Trübselig!“ flüstert Herr Piglhein. „Traurig!“ murmelt Herr Krieger. „Trostlos!“ ruft Herr Frosch. Frau Piglhein schweigt und seufzt. Das Johanniterhospiz - ein Konglomerat von breiten Gebäuden und weiten Höfen - gewährt bescheidenes, aber angenehmes Quartier. Der Himmel beschert in den nächsten Wochen Regen. Da ist’s nicht viel mit der Arbeit und den Studien. Man sieht sich um, sucht Land und Leute kennen zu lernen, wie sie sich bei nassem Wetter ausnehmen. Zweierlei ist hier bei jeder Witterung in Überfluss zu haben: Konfessionen und Modelle. An der geweihten Stätte der Einen Religion richtet sich jener sein Religiönchen ein; es wiederholt sich im kleinen, was die Welt so oft im Großen gesehen hat: dass geringe Unterschiede im Glauben den Stoff zu einem neuen Glauben liefern. Ein Hotelbesitzer gründet eine Sekte; ein spiritistisch erleuchteter Kaufmann macht ihm Konkurrenz; ein schwärmender Pilger fängt gleichfalls an, zu „stiften“ - und so fort. Hier könnte Goethes Ahasver gedichtet sein:

„Wo, rief der Heiland, ist das Licht,

Das hell von meinem Wort entronnen!

Weh! Und ich seh’ den Faden nicht,

Den ich so rein vom Himmel ‘rab gesponnen.

Und, ach, wohin der Geist, den ich gesandt!“

Sicher ist dieser Geist nicht in den Menschenkindern, welche Tag für Tag in allen Höfen und Stockwerken des Hospizes herum stehen, gehen und liegen und ein buntes, doch nicht stets erfreuliches Bild gewähren. Sie wollen als Modelle dienen und Handel treiben, mit ihrem Aussehen oder ihre Waren. Eine Pfiffigkeit, die ihren Ursprung ebenso gut in angebotener Begabung wie in europäischen Beispielen haben kann, hat sie bereits erkennen gelehrt, was diese deutschen Künstler wollen. Das für die Malerei so bedeutsame Wort „Modell“ fehlt ihnen noch, aber der Begriff ist bereits da - und das mit diesem Begriff auch in zivilisierteren Ländern verbundene Streben, sich möglichst gut zu verwerten. Unter vielen anderen stellt sich ein alter Rabbi den spanischen Juden vor, einer schönen und (für Maler!) sehr angenehmen Menschenklasse, welche für eine einzige Sitzung 100 Mark verlangt. Andere sind nicht bescheidener. Auch hier, wie in Europa stimmen die verschiedenen Konfessionen in dem Dogma überein, dass es gut sei, so viel Geld wie möglich zu erwerben. Wo allerdings des Geldes Macht versagt, stoßen die künstlerischen Pläne unserer Freunde auf starken Widerstand. Ein frommes Vorurteil gegen bildliche Darstellungen beherrscht die Gemüter der Eingeborenen, soweit sie mehr gläubig als habsüchtig sind. Deren Konterfei ist nur durch List zu erlangen. Von München hatten die Reisenden einen photographischen Apparat und Trockenplatten mitgebracht; nun wird den porträtfeindlichen Orientalen gesagt: „Wir müssen im Auftrag der türkischen Regierung das Terrain aufnehmen!“ Die türkische Regierung - das ist etwas so Harmloses! Über den Zweck der Operation beruhigt und durch das geheimnisvolle Aussehen der photographischen Maschine neugierig gemacht, stellen sie sich rings um den Apparat - ein Momentbild - und einige Typen für das Münchener Panorama sind gewonnen! Mit der Jagd auf menschliche Gesichter wechselt eine andere ab: innerhalb und außerhalb der Tore Jerusalems ist Schutzfreiheit; den schönen blauen Mandelkrähen und, weiter ins Land hinaus, den Geiern, Schakals und Gazellen wird der Krieg erklärt. Kein allzu gefährlicher Krieg; denn wer mit dem Pinsel so gut hantieren weiß, für dessen Flinte ist Samuels Kugelspruch - sechse treffen, die siebente wird essen - gewöhnlich umgekehrt.

Endlich bessert sich das Wetter. Zwischen der rauen, widrigen Apriltemperatur und der mit ihr wechselnden Hitze kommt ein Vergleich zustande, welcher den Reisegenossen nach langem Harren das vielbegehrte „Recht auf Arbeit“ gewährt. Viele Empfehlungen (besonders diejenige, welche die päpstliche Nunziatur und der Herr Erzbischof in München mit rühmenswerter Freundlichkeit gegeben hatten) erleichtern diese Arbeit. Umfangreiche Studien an Ort und Stelle, mit gütiger Unterstützung seitens des Franziskanerordens, werden vorgenommen. Der Patriarch bewilligt, dass im Zentrum Jerusalems, vom Dach der Grabeskirche aus, welches über der Stelle der drei Kreuze sich wölben soll, also gleichsam von der Höhe von Golgatha, die Stadt aufgenommen werde. Aber auch die Umgegend muss erforscht werden; wer es wagt, die heilige Handlung in Szene zu setzten, muss die ganze Bühne kennen, genau kennen. Unter dem Schutz der Beduinen, in Begleitung des Dragomans und des Dieners Hâna, mit einer Ausrüstung von fünfzehn Reitern und vier Zelten wird ein dreitägiger Ausflug an das tote Meer unternommen. Ritt durch die Wüste Juda - das ist das einfache und vielsagende Programm des ersten Tages. Dann wird am Fuß des Berges Karantel, an dessen Wände zahlreiche Anachoreten ihre schmucklosen Hütten geklebt haben, das erste Zeltlager aufgeschlagen. Der Koch, ein ruhmloses, aber wichtiges Mitglied der Reisegesellschaft, weiß die von letzterer erlegten Steinhühner und Wildtauben trefflich zu bereiten. Zu den Strahlen der Abendsonne, die sich langsam über das weitgestreckte, grüne Tal des Jordan breiten, führen die Beduinen seltsame Tänze auf, und die deutschen Künstler lassen die Gläser klingen: „Ein Hoch der Heimat“! - Mit Ehrfurcht betrachten sie am anderen Tag die Stelle des Jordan, wo die Taufe geschehen sein soll. Dieses Gefühl verwandelt sich in Mitleid, als sie dort einen alten Abessinier erblicken, den Angehörigen einer christlichen Sekte, welcher zu diesem heiligen Orte gewandert ist, um da zu sterben. Sie bieten ihm Geld und andere Gaben. Der Hunger spricht aus seinen Zügen; aber er weist alles zurück. Nur eine einzige Frucht nimmt er, denkt und lässt die Fremden vorüberziehen. Ein Glaube, ein Schicksal . . .

Nun kommen die vom Jordan glattgespülten Wege, auf welchen sich mit den Pferden und Maultieren vielleicht eine Vereinbarung über einen ungefährlichen Galopp erzielen lässt. Sie fliegen dahin - und der treue Hâna läuft nach, das unterwegs Verlorene zu sammeln, wie ein Schriftsteller, der aus allen Ecken seine Feuilletons sucht, um ein Buch daraus zu machen. Wieder ein neuer Anblick: 394 Meter unter dem mittelländischen Meer liegt Bahr Lut - das tote Meer. Die Reisenden betrachten es und zwei von den Herren widerstehen der Versuchung nicht, sich badend in seine Fluten zu stürzen. Der gute Hâna sieht schweigsam zu. Er weiß, dass das salzige Wasser von Bahr Lut einige Zeit nach dem Bade ganz abscheulich brennt und juckt, wenn man es nicht sofort in der raschen Flut des Jordan wieder abspült. Aber er schweigt - und erst die verspäteten Klagen der Gemarterten entlocken ihm die stoische Bemerkung: „Ist immer so“.

Bald macht der Eindruck der großartigen Einsamkeit dieser Landschaft jedes alltägliche Wort und Gefühl verstummen. Der Regen beginnt wieder zu strömen. Unter Donner und Blitz, völlig durchnässt, gelangt man an das griechisch-katholische Weihehaus des heiligen Sabas, das Kloster Mâr Sâba. In der Nähe des Klosters, welches der Fuß eines Weibes nicht betreten darf, werden die Zelte aufgeschlagen. In der Nacht fegt der Sturm sie beinahe weg. Ein sonniger Tag folgt. Man zimmert eilig einen Tisch und trägt das ihn auf die Spitze eines Hügels. Der photographische Apparat, der unentbehrliche, alles notierende Begleiter, der „Registrator auf Reisen“, wird auf den Tisch gestellt. Weiter soll ja die Wanderung nicht ausgedehnt werden. Also frisch ans Werk - „ringsumher liegt schöne grüne Weide“ für das Malerauge! Und in dem Augenblick, wo der Registrator tätig werden soll, macht Hâna, der „mithilft“, eine ungeschickte Bewegung und wirft - o Hâna, hast du so geringe Teilnahme für das Panorama in der Goethestraße? - die ganze Maschine herunter! In diesem Augenblick, am räumlichen Endpunkt und zeitlichen Mittelpunkt der ganzen Reise, war es, wo die einzige Ohrfeige gegeben wurde, auf dem ganzen Weg in zwei Weltteilen die einzige. Der Vertreter des Architektonischen war, mit Bräsig zu reden, „der Nächste dazu“ - und er gab sie. Nach diesem Höhepunkt und nachdem der wieder aufgestellte Apparat seine Dienste getan, wurde gegen Ende April die Rückreise angetreten. Zurück nach Jerusalem. Abschied von Baurat Schick, der über die Rekonstruktion der alten Stadt viel Schätzenswertes mitgeteilt hatte. Ein herrlicher Ritt nach Jaffa. Zusammentreffen mit Bauernfeind, dem „Orientmaler“, der sein „Zelt“, aber ein steinern Zelt, in Jaffa aufgeschlagen und sich ein reizvolles Atelier eingerichtet hat. Von Jaffa eine erquickliche Seereise nach Konstantinopel, so ganz ohne Beschwerden, dass unsere Maler bereits anfangen, Nelson und Nordenskjöld als schwächliche Landratten zu bezeichnen. Von Konstantinopel mit dem Blitzzug über Varna nach München.

Vom Münchener Zentralbahnhof in die Goethestraße Nr. 45. Da steht es schon, festgemauert in der Erden, der Rohbau des Panoramas. Auch die Leinwand ist bereits angekommen. Ein riesiges Stück, ein Ungetüm wie aus einer vorsintflutlichen Leinwandperiode. Weithin wälzt es sich über den Boden - das gewobene Mammut misst 15 Meter in der Höhe und 120 Meter in der Länge. Es wird aufgehängt, im Kreis, so dass der ganze innere Raum des Panoramagebäudes wie ein Zylinder eingefasst ist. Dann wird die Leinwand genässt und durch schwere Gewichte, die an ihrem unteren Saume befestigt sind, gedehnt. Ist sie auf diese Art endlich ganz gespannt, so wird sie weiß grundiert. Dies alles ist gleichsam ihre mädchenhafte Erziehung. Nun harrt sie, wie eine weißgekleidete Braut, des bunten Lebens, das noch kommen soll. Das ist inzwischen in Piglheins Atelier vorbereitet worden: die Skizze des ganzen Bildes ist im 1:10 Maßstab entworfen und in zehn Blätter geteilt, die in hochzeitlich frohem Zug ins Panorama gebracht werden. Durch einen zu diesem besonderen Zweck eingerichteten Apparat, nicht unähnlich der magischen Laterne, wird nun die Skizze auf die Leinwand vergrößert. Die Konturen werden auf der Leinwand nachgezogen und die Grundlinien des künftigen Bildes sind da. Freilich erst schattenhaft; wie sich’s dereinst ausnehmen wird, lässt sich noch so wenig sagen, wie man aus den Flitterwochen auf die Ehejahre schließen kann. Das Bild wird jetzt angetuscht, die Leinwand in Lokaltönen dünn gedeckt. Die Ausführung beginnt. Die Luft - die erste Lebensbedingung aller Menschen und aller Landschaftsbilder - bietet große Schwierigkeiten. Sie ist wolkenlos, ganz rein; die rechte Flitterwochen-Luft. Sie so zu erhalten, braucht es ein feines, wohlbedachtes Mischen der Farben. Die Abstufungen von Dunkel bis Hell, die fortschreitende Verminderung der Töne in dieser Skala macht eine eigene perspektivische Berechnung notwendig. Es ist keine geringe Arbeit, bis jedes Atom von 500 Kilo Kremser Weiß und 70 Kilo Ultramarin ein Teil eines wirklichen Kunstwerkes geworden ist. Auch der Vorbau muss noch ersonnen werden.

Arbeit, Arbeit, Arbeit! Heißt die Lösung für die nächsten drei Vierteljahre. Zu jeder Tageszeit, welche das notwendige Licht gewährt, finden wir Piglhein und seine Genossen an der Arbeit; ihn selbst bald mit Pinsel und Palette im ersten oder zweiten Stockwerk eines der kolossalen Fahrgerüste, die auf Schienen vor der Leinwand entlang geschoben werden, bald auf dem erhöhten Podium in der Mitte des ganzen Raumes, das Werk seiner Helfer überblickend, dies und jenes bemerkend oder verbessernd - ein Feldherr, der zugleich befiehlt und mitkämpft. Manchmal erscheint seine Gattin, kommen Freunde und Bekannte, um nachzufragen, wie die Schlacht steht, wie lange es noch währt, bis dieser große Sieg der Kunst errungen ist. Auch die Mitstreiter halten sich wacker dazu: Krieger und Heine behandeln die Landschaft, Frosch die Architektur, Bloch (ein Schüler Piglheins) greift ein, wo man seiner bedarf. So fließt die Arbeit munter fort, nach bewährter Regel von „gutem Boden“ begleitet. Oft von heiteren, oft auch von sehr ernsten und gründlich gelehrten Reden. Denn die Kreuzigung und die Stadt Jerusalem mit ihrer Umgebung sollen ja nicht nur künstlerisch, sondern auch geschichtlich richtig dargestellt werden. Wie die menschlichen Dinge zusammenhängen! Baute sich einst Kaiphas ein Landhaus, irgendwo in der Nähe von Jerusalem, zu keinem anderen Zweck, als um darin vergnügt zu sein - und nun, nach fast zweitausend Jahren, sitzt da ein deutscher Maler, auf eine geweißte Brüsseler Leinwand starrend, in Filzpantoffeln, bei einer Tasse Tee, und sinnt schwermütig nach: „Ich gäb’ was d’rum, wenn ich nur wüsst’, wo Kaiphas’ Villa gewesen ist“ . . .

Arbeit, Arbeit. Bis kurz vor dem 1. Juni 1886, an welchem Tag das „Panorama der Kreuzigung Christi, gemalt von Professor B. Piglhein“ feierlich eröffnet wurde. Nun folgt der schweren Sorge und Arbeit verdiente Ehre und Anerkennung, Beifall und Ruhm: für die Mitschaffenden Frosch, Heine, Krieger und Bloch, vor allem aber für den Meister des Werks.


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