Kunstchronik 21, Nr. 37, 24. Juni, 1885/6

Das neue Münchener Panorama

 

 

 

Kurze Zeit ist es her, dass das Bestreben anfing, auf riesigen Flächen dem Beschauer eine solche Masse von Menschenaktion und Landschaft vorzuführen, wie es bei einem Staffelbild  nun und immer möglich wäre. Dazu kommt bei der Panoramamalerei ein ähnlich Stück Täuschung, wie man es, allerdings in anderer Art, bei den Kirchen der Zopfzeit und auch bei großen architektonischen Dekorationstücken profaner Natur aus jener Epoche zuweilen sieht: die Fortsetzung wirklich plastischer Gegenstände in die Malerei hinein, und zwar so, dass der Übergang für das nicht geübte Auge ein unmerklicher ist und der auf der Plattform stehende Beschauer sich inmitten in die Szenerie hinein denken kann. Vorerst waren es die Schlachtfelder vom Jahr 1870 und 71, welche die Motive dazu boten, und der stereotype Lieutenant, der mit gezogenem Degen seiner Kolonne vorauseilt, war eine vielgebrauchte Person. Münchens erstes Panorama stellte die Schlacht von Weißenburg vor, gemalt von Prof. Louis Braun. Besonders der landschaftliche, von Jos. Krieger behandelte Teil erregte durch die Feinheit seiner Stimmung allgemeines Interesse. Später kam das in manchen Partien unvergleichlich künstlerische Panorama von Kairo, ausgeführt von dem Belgier Wauters, zur Ausstellung, und dieses ist neuerdings abgelöst worden durch ein Schlachtenbild von Philipoteaux père: der letzte Ausfall der Franzosen am 19. Januar 1871.

Während dieser Zeit nun ist ein Werk entstanden, mit dem sich andere, ähnliche kaum messen können. Es ist eine künstlerische Leistung ersten Ranges: „Die Kreuzigung Christi“, ausgeführt von Bruno Piglhein, Jos. Krieger und C. Frosch.

Piglhein hatte auf der internationalen Ausstellung des Jahres 1879 ein großes Bild, auf welchem er meines Wissens zum erstenmal einen religiösen Gegenstand behandelte. Es war da der Moment dargestellt, in dem der Gekreuzigte - nebenbei gesagt eine treffliche Figur - stirbt: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Eine kräftig gezeichnete, männliche Engelsfigur, der bei alledem die poesievolle Erscheinung nicht mangelt, beugt sich über den horizontalen Kreuzesarm und küsst dem Sterbenden die Stirn. Es wurde damals viel pro und contra das Bild gesprochen. Die Heiligenmaler von Metier, die in der hergebrachten weichlichen Behandlungsweise noch heute eine gewisse Sinecure finden, waren natürlich in corpore dagegen eingenommen. Zu harte Formenbehandlung, zu sehr heroisch aufgefasst, hieß es. Den Frommen war’s nicht mit genug Weihrauch untermengt, nicht heilig genug gedacht. Nur Künstler und solche Laien, die ihre Anschauung nicht lediglich an krachledernen Hosen, braungefärbten Stuben und gut gemalten Maßkrügen gebildet haben, waren der Ansicht, dass das Bild in seiner Auffassung eigenartig und groß gedacht sei. Piglhein verließ für einige Zeit den Pfad, den er mit dieser Schöpfung betreten hatte, und arbeitete lange fast ausschließlich Pastellbilder, die, immer pikant und flott behandelt, meistens an der Grenze, zuweilen wohl auch ganz ihren Vorwürfen nach den Sphären der Halbwelt entstammen. - Allbekannt unter seinen Schöpfungen aus dieser Zeit ist das urgesunde kleine Bild: „Vor dem Bade“, ein reizendes Kind, nackt auf einem Brett über dem Wasser sitzend und daneben in klassischer Ruhe ein Jagdhund. - Da trat an den Künstler die Aufgabe heran, ein Panorama zu schaffen, das den Vorgang auf Golgatha behandelt. Er reiste mit seinen beiden Kollegen, den obengenannten Künstlern Frosch und Krieger, nach Jerusalem, machte mit ihnen an Ort uns Stelle die nötigen Studien und heute steht das Resultat davon vor uns, eine künstlerische Schöpfung, vor der man ohne Zaudern sagen kann: Hut ab! - und die trotz aller Freiheit dennoch streng an die wissenschaftliche Forschung sich gehalten hat.

Es würde zu weit führen, hier auf alle Details des großen Werks einzugehen.

Vor allem sei bemerkt, dass die figürliche Komposition in durchaus mäßiger Größe gehalten ist und nicht durch räumliche Dimension sich dem Auge aufdrängt. Der Standpunkt des Beschauers ist ein Hügel, welcher, von der Stadt ebenso wie von der Stätte Golgatha durch Bodensenkungen geschieden, einen weiten Ausblick in die Landschaft und über die Stadt Jerusalem gewährt. Die Hauptaktion vollzieht sich somit durchaus nicht in nächster Nähe des Beschauers. Ebenso ist bei dem Volk, welches dem Akt beiwohnt, nur die Massenwirkung ins Auge gefasst, von der sich einzelne, charakteristisch gehaltene Figuren, z.B. jene des Annas und Kaiphas, loslösen.

Die Kreuzigungsgruppe bildet, an und für sich durch die topographische Beschaffenheit des Ortes schon hierzu gemacht, den Kulminationspunkt des Ganzen. Dort stehen die Jünger, die Frauen und Freunde des Sterbenden, Gruppen, die ebenso tief empfunden wie gut gezeichnet sind. Zur Linken, in einem kleinen Felsental, von dem aus der Richtplatz überschaut werden kann, wogt und drängt der brüllende und lästernde Mob, seinen Herren und geistlichen Gebietern zu gefallen, fortwährend Zuzug erhaltend durch die Karawanen, die auf der Straße von Jaffa her des Osterfestes wegen nach Jerusalem wandern und so direkt in das Schauspiel hineingeraten, welches sich eben abwickelt. Rechts von der Schädelstätte senkt sich das Terrain ebenfalls zu einem breiten Tal nieder, das längs den gewaltige Mauern von Jerusalem sich hinzieht. Dort hat sich das bunte Leben eines orientalischen Marktes entwickelt, Stätten und Zelte sind aufgeschlagen, die Kamele an Pflöcken zusammengekoppelt - es ist ein Bild, das mit dem großartigen Drama in keiner näheren Verbindung steht; aber es tritt diesem auch in keinem Punkt, trotz der Reichhaltigkeit seiner Komposition, störend in den Weg. Die Verbindung des plastischen Vordergrunds mit der Malerei ist durchweg vortrefflich zu nennen. Und die Landschaft! Diese großen breiten Massen, die ruhigen weiten Linien, der Sterilität des Bodens, kurzum das ganze Erfassen der Charakteristika einer Landschaft, es ist in dem tiefen ernstem Ton, der durch das Ganze zieht, folgerichtig durchgeführt. Nicht eine einzige Partie fällt heraus, es ist durchweg eine getragene Melodie im großen Symphoniestil. Der Himmel ist flimmerig, graublau - den Worten der Schrift entsprechend: Und es ward eine Finsternis über das ganze Land, bis an die neunte Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein und der Vorhang des Tempels zerriss mitten entzwei!

Die Wirkung des entrollten Bilds ist eine gewaltige, erschütternde, das Ganze ein künstlerisch so reifes Werk, dass man mit Freuden sagen kann: noch hat der öde Impressionismus nicht alles Terrain erobert, noch sind sie nicht alle Naturabschreiber geworden, wobei allerdings die Kopie oft viel lückenhafter und geringer ist als die Originalhandschrift selbst.