Aus

„Über Land und Meer“

Bruno Piglhein und das Pastell.

53. Band. Siebenunddreißigster Jahrgang

Oktober 1884 – 1885)

(No. 16, Seite 352 und 353)

 

 

Bruno Piglhein, der Pastellmaler par excellence, nimmt in der Münchener Künstlerschaft eine erste Stelle ein. Seine künstlerische Vorbildung basiert mehr auf ursprünglichem Genie als auf Schulung. In Hamburg 1848 geboren als der Sohn eines der angesehensten Dekorateurs, in Verhältnissen aufgewachsen, die ihm die kostspieligsten Liebhabereien und Wünsche gestatteten, mit dem künstlerischen Erbe eines vornehmen Geschmacks veranlagt und geschult für das große väterliche Geschäft, wandte er sich mit ausgesprochener Vorliebe der Malerei zu. Die Malerakademie in Dresden und Weimar besuchend, fand er dort nicht die Förderung des ihm innewohnenden, freien Schaffenstriebes; als er zweiundzwanzigjährig nach München kam, warf er die Schnürbrust akademischen Zwanges weit von sich, und bemühte sich, hier möglichst schnell Alles zu verlernen, was von akademischer Schablone an ihm klebte. Er ging seinen eigenen Weg. Anfänglich malte er einige im Auftrag erhaltene Salondekorationen im Makart’schen Geiste für einen Patrizier seiner Vaterstadt. Dann schuf er eine Reihe kleinerer Kunstwerke, mehr geeignet, das Auge des Künstlers zu erfreuen, als ein größeres Publikum zu fesseln. Dazu gesellte sich, genährt durch besondere Neigung und Befähigung, die Vorliebe, anderen jüngeren Talenten ein dozierender und beratender Lehrer zu sein, eine eigene Begabung, die so manchem Akademieprofessor nicht verliehen. Eine kleine Schar jüngerer Kräfte, die ohne ihn vielleicht noch im Keime schlummern oder dem Werden entgegenreisen würden, nennt ihn ihren Meister und dankt ihm jenen Stil, jene Auffassung, welche im gesunden Realismus ihre Wurzel hat und ihre Zukunft sieht und zu der in München breit gewordenen Richtung schwört. – In der internationalen Ausstellung in München 1879 erregte Piglhein großes Aufsehen durch den Todesengel am Kreuz des sterbenden Heilandes. Er hatte das schwierige Problem der Darstellung wie ein hinter dem Kreuz schwebender, lebensgroßer Engel den sterbenden Christus auf die Stirn küsst, mit vollendeter Meisterschaft gelöst, aber es war ein Gemälde für Künstler, nicht für das Publikum. Der Käufer blieb aus*. Aber man fing wenigsten an, auf den Namen Piglhein zu achten und wartete seine zukünftigen Schöpfungen ab.

          Für den Künstler kam jetzt eine Zeit scheinbarer Untätigkeit, dennoch war er nicht müßig, die Maltechnik in allen ihren Zweigen erforschend, probierend und skizzierend, füllte sich sein großartiges und herrliches, mit allem gemütlichen Komfort im künstlerischen Sinne ausgestattetes Atelier mit einer Reihe angefangener und unvollendeter Gemälde, und er rang mit genialer Schaffenslust der Kunsttechnik ein neues Verfahren ab, das, zu Großväterzeiten schwach geübt, noch im Keime schlummerte. Piglhein warf Pinsel und Palette beiseite und griff zum Pastellstift, bemüht, frei aus sich selbst mit schöpferischer Phantasie zu wirken. Er hatte mit seinem Christus nicht nach Effekt gehascht, die Frage: „Was werden die Künstler dazu sagen?“ stand und steht ihm höher als die Frage: „Was sagt das Publikum dazu?“ und diese Maxime leiteten ihn auch bei seinen folgenden Werken.

          Ausgenommen eine schöne Madonna, mit dem Kinde und einem zweiten Christus, angefasst in dem Moment der Agonie, wo dem Verscheidenden das Auge bricht und die Pupille erstarrt, waren die folgenden Gemälde meistens von sehr weltlicher Gesinnung begleitet. Mit allen zehn Fingern modellierte, wischte und mischte der Künstler in den herrlichsten Nuancen die Pastellfarben durcheinander; der gespitzte Farbenstift spielte dabei eine Nebenrolle, er knetete förmlich die Farben auf die Leinwand oder auf den Karton und – mit welchem Erfolg! Herrliche, naturwahre Gestalten sehen wir in leuchtender Kraft und mit schmelzendem Kolorit ohne süßliches Beiwerk, vielmehr mit jenem der Pastelltechnik eigenen Lustre aus seinen Händen herauswachsen. Nun wurden keine biblischen Bilder mehr gemalt, der Lebemann griff hinein ins volle Menschenleben. Das Ewig-weibliche mit allen seinen Reizen, mit seiner Körper- und Toilettenpracht wuchs unter dem Lustre seiner Pastellfarben, Kindergruppen, nicht in akademische Formen gezwängt nach der landläufigen Schablone zahlloser Amoretten und Genien, sondern echte, kernige Pausbackengesichter mit großen, klugen Augen, derben Zügen und wirklichem Muskelfleisch, gaben Zeugnis von dem gesunden Realismus der Natur. Seine reizenden Idylle: „Kind und Hund auf dem Ufersteg sitzend“, ist in mannigfacher Vervielfältigung durch die ganze Welt gewandert und hat den Namen Piglhein schnell populär gemacht. Durch eine unsinnige Überproduktion an Mittelware in unserer Zeit der reproduzierenden Technik ist das Kunstverständnis vielfach und in den besten Kreisen verbildet worden. Man gibt im Allgemeinen mehr auf sogenannte Blender, auf den Gegenstand selbst, der die Gemütsnerven frottiert oder einen Hang zur Sentimentalität unterstützt, und solche Seelenaffekte nennt man dann Kunstverständnis. Anders der Künstler, der selbst schafft, anders der kenntnisreiche Forscher; diesen geht über alles Andere die Wahrheit, die Technik, die Mache, und dieser Erkenntnis zunächst, die sich in kunstverständigen Kreisen immer mehr uns mehr Bahn gebrochen, verdanken wir den jetzigen Realismus in der Technik sowohl, wie in der Wahl des Gegenstandes. Wir werden über kurz oder lang im Naturalismus der Impressionisten noch ganz andere Dinge erleben. Piglhein hat diesen hat diesen Naturalismus auch auf das Porträt ausgedehnt, er kennt in der Wiedergabe eines Porträts keine konventionelle Höflichkeit, das photographisch Süßliche und Geleckte ist ihm fremd, er retouchiert keine Falten und Runzelchen, sondern ist lebendig und wahr, dabei besitzt er die Gabe, während einer Porträtsitzung die Persönlichkeit in hohem Grade durch allerlei Konversation zu fesseln, er ruft alle Leidenschaften und Affekte auf dem Gesichte des Sitzenden  in natürlicher und ungezwungene Weise hervor, beobachtet genau und scharf das wechselnde Mienenspiel, ein Aufflammen der Augen, ein Zucken der Lippen, eine individuelle Gewohnheit oder Stimmung im Ausdruck, mischt das Ganze gewandt zu einer Normalerscheinung und – das Porträt ist fertig. Es ist, wie gesagt, ein eigener Zauber um seine Kunst, und die durch ihn neu ins Leben gerufene Pastelltechnik, welche in ihren Mitteln unerschöpflich und fast Unerreichbares erreichen lässt, gewinnt auch bei anderen Künstlern neuen Boden. Piglhein hat seine bisherigen Pastells gesammelt in einem großen Prachtwerk vereinigt herausgegeben, es ist ein Portefeuille geworden für die vornehme Welt. – Bald schüttelt er den Münchener Staub von den Füßen und siedelt nach Berlin über. Wenn es sein großartiges, aus zwei Sälen mit Oberlicht bestehendes Atelier dort in gleicher Weise ausstattet wie in München, so wird die Reichshauptstadt um eine Sehenswürdigkeit vermehrt. Unsere Abbildung zeigt einen Teil des Ateliers, das in mehrere Gruppen zerfällt und neben allem Reiz des modernen Komfort einem kleinen Museum gleicht. So wird der Wunsch eines bekannten Kritikers wohl nicht in Erfüllung gehen, welcher den Ausspruch tat: „Wenn ich der Teufel wäre, dann müsste Piglhein mein Hofmaler werden.“ – Die Originalpastellgemälde, welche, zwanzig an der Zahl berechtigtes Aufsehen im Münchener Kunstverein machten, sind Eigentum des Kunstverlegers Fr. Ad. Ackermann in München, aus dessen Album wir demnächst ein Blatt veröffentlichen. Besonders anziehend in dieser Sammlung ist ein meisterhafter Damenkopf im Profil, ein weiblicher Jockey, eine spanische Tänzerin und das herrliche Brustbild einer Balldame mit mächtigem Fächer.                   K. H.

 

 

 

*Anmerkung von Piglhein’s Urenkel Robert Wecker:

Dieses Gemälde „Moritur in Deo“ wurde vom Industriellen Friedrich Alfried aus Essen gekauft und der Berliner Nationalgalerie geschenkt.

 

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