Aus
„Über Land und Meer“
Bruno Piglhein und das
Pastell.
Bruno Piglhein, der
Pastellmaler par excellence, nimmt in der Münchener Künstlerschaft eine erste
Stelle ein. Seine künstlerische Vorbildung basiert mehr auf ursprünglichem
Genie als auf Schulung. In Hamburg 1848 geboren als der Sohn eines der
angesehensten Dekorateurs, in Verhältnissen aufgewachsen, die ihm die
kostspieligsten Liebhabereien und Wünsche gestatteten, mit dem künstlerischen
Erbe eines vornehmen Geschmacks veranlagt und geschult für das große väterliche
Geschäft, wandte er sich mit ausgesprochener Vorliebe der Malerei zu. Die
Malerakademie in Dresden und Weimar besuchend, fand er dort nicht die Förderung
des ihm innewohnenden, freien Schaffenstriebes; als er zweiundzwanzigjährig
nach München kam, warf er die Schnürbrust akademischen Zwanges weit von sich,
und bemühte sich, hier möglichst schnell Alles zu verlernen, was von
akademischer Schablone an ihm klebte. Er ging seinen eigenen Weg. Anfänglich
malte er einige im Auftrag erhaltene Salondekorationen im Makart’schen Geiste
für einen Patrizier seiner Vaterstadt. Dann schuf er eine Reihe kleinerer
Kunstwerke, mehr geeignet, das Auge des Künstlers zu erfreuen, als ein größeres
Publikum zu fesseln. Dazu gesellte sich, genährt durch besondere Neigung und
Befähigung, die Vorliebe, anderen jüngeren Talenten ein dozierender und
beratender Lehrer zu sein, eine eigene Begabung, die so manchem Akademieprofessor
nicht verliehen. Eine kleine Schar jüngerer Kräfte, die ohne ihn vielleicht
noch im Keime schlummern oder dem Werden entgegenreisen würden, nennt ihn ihren
Meister und dankt ihm jenen Stil, jene Auffassung, welche im gesunden Realismus
ihre Wurzel hat und ihre Zukunft sieht und zu der in München breit gewordenen
Richtung schwört. – In der internationalen Ausstellung in München 1879 erregte
Piglhein großes Aufsehen durch den Todesengel am Kreuz des sterbenden
Heilandes. Er hatte das schwierige Problem der Darstellung wie ein hinter dem
Kreuz schwebender, lebensgroßer Engel den sterbenden Christus auf die Stirn
küsst, mit vollendeter Meisterschaft gelöst, aber es war ein Gemälde für
Künstler, nicht für das Publikum. Der Käufer blieb aus*. Aber man fing wenigsten
an, auf den Namen Piglhein zu achten und wartete seine zukünftigen Schöpfungen
ab.
Für den Künstler kam jetzt eine Zeit scheinbarer
Untätigkeit, dennoch war er nicht müßig, die Maltechnik in allen ihren Zweigen
erforschend, probierend und skizzierend, füllte sich sein großartiges und
herrliches, mit allem gemütlichen Komfort im künstlerischen Sinne
ausgestattetes Atelier mit einer Reihe angefangener und unvollendeter Gemälde,
und er rang mit genialer Schaffenslust der Kunsttechnik ein neues Verfahren ab,
das, zu Großväterzeiten schwach geübt, noch im Keime schlummerte. Piglhein warf
Pinsel und Palette beiseite und griff zum Pastellstift, bemüht, frei aus sich
selbst mit schöpferischer Phantasie zu wirken. Er hatte mit seinem Christus
nicht nach Effekt gehascht, die Frage: „Was werden die Künstler dazu sagen?“
stand und steht ihm höher als die Frage: „Was sagt das Publikum dazu?“ und
diese Maxime leiteten ihn auch bei seinen folgenden Werken.
Ausgenommen eine schöne Madonna, mit dem Kinde und einem
zweiten Christus, angefasst in dem Moment der Agonie, wo dem Verscheidenden das
Auge bricht und die Pupille erstarrt, waren die folgenden Gemälde meistens von
sehr weltlicher Gesinnung begleitet. Mit allen zehn Fingern modellierte,
wischte und mischte der Künstler in den herrlichsten Nuancen die Pastellfarben
durcheinander; der gespitzte Farbenstift spielte dabei eine Nebenrolle, er
knetete förmlich die Farben auf die Leinwand oder auf den Karton und – mit
welchem Erfolg! Herrliche, naturwahre Gestalten sehen wir in leuchtender Kraft
und mit schmelzendem Kolorit ohne süßliches Beiwerk, vielmehr mit jenem der
Pastelltechnik eigenen Lustre aus seinen Händen herauswachsen. Nun wurden keine
biblischen Bilder mehr gemalt, der Lebemann griff hinein ins volle Menschenleben.
Das Ewig-weibliche mit allen seinen Reizen, mit seiner Körper- und
Toilettenpracht wuchs unter dem Lustre seiner Pastellfarben, Kindergruppen,
nicht in akademische Formen gezwängt nach der landläufigen Schablone zahlloser
Amoretten und Genien, sondern echte, kernige Pausbackengesichter mit großen,
klugen Augen, derben Zügen und wirklichem Muskelfleisch, gaben Zeugnis von dem
gesunden Realismus der Natur. Seine reizenden Idylle: „Kind und Hund auf dem
Ufersteg sitzend“, ist in mannigfacher Vervielfältigung durch die ganze Welt
gewandert und hat den Namen Piglhein schnell populär gemacht. Durch eine
unsinnige Überproduktion an Mittelware in unserer Zeit der reproduzierenden
Technik ist das Kunstverständnis vielfach und in den besten Kreisen verbildet worden.
Man gibt im Allgemeinen mehr auf sogenannte Blender, auf den Gegenstand selbst,
der die Gemütsnerven frottiert oder einen Hang zur Sentimentalität unterstützt,
und solche Seelenaffekte nennt man dann Kunstverständnis. Anders der Künstler,
der selbst schafft, anders der kenntnisreiche Forscher; diesen geht über alles
Andere die Wahrheit, die Technik, die Mache, und dieser Erkenntnis zunächst,
die sich in kunstverständigen Kreisen immer mehr uns mehr Bahn gebrochen,
verdanken wir den jetzigen Realismus in der Technik sowohl, wie in der Wahl des
Gegenstandes. Wir werden über kurz oder lang im Naturalismus der
Impressionisten noch ganz andere Dinge erleben. Piglhein hat diesen hat diesen
Naturalismus auch auf das Porträt ausgedehnt, er kennt in der Wiedergabe eines
Porträts keine konventionelle Höflichkeit, das photographisch Süßliche und
Geleckte ist ihm fremd, er retouchiert keine Falten und Runzelchen, sondern ist
lebendig und wahr, dabei besitzt er die Gabe, während einer Porträtsitzung die
Persönlichkeit in hohem Grade durch allerlei Konversation zu fesseln, er ruft
alle Leidenschaften und Affekte auf dem Gesichte des Sitzenden in natürlicher und ungezwungene Weise
hervor, beobachtet genau und scharf das wechselnde Mienenspiel, ein Aufflammen
der Augen, ein Zucken der Lippen, eine individuelle Gewohnheit oder Stimmung im
Ausdruck, mischt das Ganze gewandt zu einer Normalerscheinung und – das Porträt
ist fertig. Es ist, wie gesagt, ein eigener Zauber um seine Kunst, und die
durch ihn neu ins Leben gerufene Pastelltechnik, welche in ihren Mitteln
unerschöpflich und fast Unerreichbares erreichen lässt, gewinnt auch bei
anderen Künstlern neuen Boden. Piglhein hat seine bisherigen Pastells gesammelt
in einem großen Prachtwerk vereinigt herausgegeben, es ist ein Portefeuille
geworden für die vornehme Welt. – Bald schüttelt er den Münchener Staub von den
Füßen und siedelt nach Berlin über. Wenn es sein großartiges, aus zwei Sälen
mit Oberlicht bestehendes Atelier dort in gleicher Weise ausstattet wie in
München, so wird die Reichshauptstadt um eine Sehenswürdigkeit vermehrt. Unsere
Abbildung zeigt einen Teil des Ateliers, das in mehrere Gruppen zerfällt und
neben allem Reiz des modernen Komfort einem kleinen Museum gleicht. So wird der
Wunsch eines bekannten Kritikers wohl nicht in Erfüllung gehen, welcher den
Ausspruch tat: „Wenn ich der Teufel wäre, dann müsste Piglhein mein Hofmaler
werden.“ – Die Originalpastellgemälde, welche, zwanzig an der Zahl berechtigtes
Aufsehen im Münchener Kunstverein machten, sind Eigentum des Kunstverlegers Fr.
Ad. Ackermann in München, aus dessen Album wir demnächst ein Blatt
veröffentlichen. Besonders anziehend in dieser Sammlung ist ein meisterhafter
Damenkopf im Profil, ein weiblicher Jockey, eine spanische Tänzerin und das herrliche
Brustbild einer Balldame mit mächtigem Fächer. K. H.
*Anmerkung von Piglhein’s
Urenkel Robert Wecker:
Dieses Gemälde „Moritur in
Deo“ wurde vom Industriellen Friedrich Alfried aus Essen gekauft und der
Berliner Nationalgalerie geschenkt.
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