Aus

Über Land und Meer

73. 73. Band. Siebenunddreißigster Jahrgang.

Oktober 1894 - 1895

(No. 25, Seite 519 und 520)

Deutsche Illustrierte Zeitung

 

Zwar nicht verkannt, doch keineswegs nach Gebühr bei Lebzeiten gekannt, hat Piglhein durch die Vielseitigkeit und Originalität seines frischen, starken, temperamentvollen Talents doch die meisten überrascht, als sein Nachlass, von der Pietät seiner Witwe verständnisinnig geordnet, sich in den Prachträumen seines Ateliers dem großen Publikum erschloss. Es bedurfte an dem Eisengitter des obersten Treppenabsatzes seines Wagner’schen Leitmotivs als freundschaftlichen Erkennungszeichens mehr, um den in die Lösung der höchsten malerischen Aufgaben vertieften Künstler von der Staffelei zu rufen. Abgebrochen, mitten entzwei war sein Schaffen und Streben, ausgerungen der monatelange entsetzliche Kampf des mächtigen Geistes, der in ihrer Vollreife stehenden Lebenskraft gegen die verzehrende Krankheit. Am 15. Juli 1894 ist Bruno Piglhein seinem schweren Herzleiden erlegen und, mit einem Trauergeleit ohnegleichen, das dem großen Maler, dem ersten Präsidenten der Sezession, wie dem edlen, allezeit hilfreichen und gütigen Menschen galt, bestattet, ruht er nun auf dem alten Friedhof seiner Adoptivheimat München aus von seinen Mühen, Triumphen, Plänen und - Enttäuschungen.

          Weit offen steht die sonst so sorgsam gehütete Pforte seiner Werkstatt. Neugierig drängt die elegante Menge aus dem Empfangssalon mit den kostbaren alten Gemälden, den üppigen Diwans und Zierarten verschiedenster Zeiten und Zonen die Stufen empor zu den zwei Riesensälen, die dem Meister als Ateliers gedient. Aber unwillkürlich fühlt man sich in der Atmosphäre einer bedeutenden Persönlichkeit und berührt von dem Hauche seines Geistes, der hier noch an allen Dingen haftet, verwandelt sich die müßige Schaulust in echte Teilnahme. Kein Prunkgemach nach den bizarren Modelaunen des Fin de Siècle aufgeputzt, wie man es bei dem Schöpfer der mehr oder minder gewagten männlichen und weiblichen „Pschütts“ vielleicht erwartet, ist dieses Atelier, sondern eine mit gediegenem individuellem Geschmack zu ernster Arbeit eingerichtete eigentliche Werkstatt. Nächst dem Eingang erinnert unter grünen Palmen und japanischen Schirmen eine Kopie des lysippischen Athleten im Vatikan an dem einstigen Schüler Schillings. Schon als Fünfzehnjähriger in seiner Vaterstadt Hamburg der Bildhauerei beflissen, hat Piglhein, seitdem Schilling dem von der Dresdener Akademie als talentlos Verstoßenen Ausnahme und Anteil an den Skulpturen der Brühlschen Terrasse gewährte, die Freude an der schönen Form und den Fleiß in gewissenhafter lebenswahrer Durchbildung derselben nie verlernt. Er kann zeichnen, weiß seinen Gestalten Körperlichkeit zu verleihen, eine Kunst, die heutzutage unter bunten Farbenmassen mehr und mehr zu verschwinden droht. Man betrachte nur einmal jenen Christus am Kreuz, eine herrliche Pastellstudie zu dem berühmten „Moritur in Deo“, das 1879 zuerst die allgemeine Aufmerksamkeit auf den 1870 nach München übergesiedelten Künstler lenkte. Während einer italienischen Reise hatte er den Kern seines spezifisch malerischen Talents entdeckt, ein geglücktes Porträt seiner Schwester bekräftigte seine Neigung und nach kurzen Vorstudien bei Pauwels in Weimar suchte er weitere Ausbildung in München. Diez, wohl der erfolgreichste aller derzeitigen Lehrer an der Münchner Akademie, hatte die Ehre, Piglhein eine Weile seinen Jüngern beizuzählen. Genützt hat dem Hamburger Maler Einfluss und Vorbild dieser urwüchsigen, kernigen, bayerischen Künstlernatur ohne Zweifel. Aber Piglheins Begabung war von einer viel zu ursprünglischen Eigenart, als dass der geniale Zug seines künstlerischen Empfindens ihn nicht auf selbständige, ja neue Wege gedrängt hätte. Was ihm von außen kam, waren nur Anregungen, die seinem Wesen verschmolzen, originelle, im besten Sinn des Wortes moderne Erzeugnisse zu Tage förderten. Auf den Schultern der Älteren stehend, war Piglhein ein durchaus moderner Maler und darum mehr wie irgend einer berufen, zum Gründer und Leiter der auf die Vervollkommnung und Wahrhaftigkeit des künstlerischen Ausdrucks unserer Zeit rüstig zusteuernden Sezession. Die Farbenskizze eines „Spaziergangs im Grünen“, von dem ein paar hellgekleidete graziöse Damen mit Büscheln violetter Schwertlilien beladen, heimkehren, zeigt ihn als Freilichtmaler, geschickt und fesselnd wie immer. Zwischen dieser letzten Arbeit seines Pinseln und jener edlen Studie zu dem erst auf seinem Totenbette durch die Großmut seines Gönners Krupp in Essen angekauften und der Berliner Nationalgalerie gewidmeten „Moritur in Deo“ liegt eine Welt von Entwürfen und wohlgeglückten Werken.

          Den verblüffenden Reiz der von Piglhein im Gefolge F. A. Kaulbachs und Lenbachs neu belebten und zu entzückender Vollendung gebrachten Pastelltechnik bekunden eine Anzahl bald bis zum Haut Goût pikanter, bald bis zu herzerquickender Unbefangenheit naiver Bilder. Der drollige kleine Junge im niederländischen roten Mäntelchen, die rotsamtne Ohrenklappe fest gebunden unter dem pausbäckigen Gesicht mit den niedlichen „Pfännchen“, dem Stupsnäslein, den schelmisch blitzenden Augen und dem lichtblonden Kräuselhaar ist einer der lieblichsten Vertreter der Kinderwelt, die je Modell gestanden. Er ist daran gewöhn, denn wir begegnen ihm wiederholt in dem von Piglhein auf den sachkundigen Rat seines Landsmanns, des Münchner Kunsthändlers Fried. Ad. Ackermann in dessen Verlag veröffentlichten Pastellalbum, das 1884 wahre Sensation erregte.

          Trotz des Achselzuckens kunstkritischer Catone ob der außer allerliebsten modernen Kindertypen darin enthaltenen nach moderneren Tänzerinnen, Pieretten und Atelierdamen bedeuteten „Douze Pastels“, die Nachklänge einer eben absolvierten Pariser Studienzeit, einen unbestrittenen künstlerischen Erfolg neben dem ersten pekuniären. Man erkannte in diesen kecken, unmittelbaren Ausflüssen übermütiger Künstlerlaune den Strich des Porträtisten und zwar, Dank der Grazie, Eleganz und Lebendigkeit seiner Auffassung, des Damenporträtisten par excellence. Die Kaiserin Elisabeth von Österreich betraute ihn zweimal mit dem Auftrag, die anmutige zierliche Prinzessin Elvira von Bayern zu malen, zwei vorzügliche Bildnisse. Allein der Sporn der eisernen Notwendigkeit hat Piglhein nie vorwärts getrieben in den Kampf des Dasein, seiner vornehmen, etwas bequemen Natur widerstrebte die Konkurrenz, und so drängten sich hartnäckige Bewerber gar häufig an die Stelle, die nach Talent und Können ihm gebührt hätte.

          Zwei Porträts von seiner schönen Gattin, ein prächtiges Ölbild in ganzer Figur und ein Pastell von fesselnden Interesse, das unsere Illustration wiedergibt, stellen Piglhein in eine Reihe mit den besten Bildnismalern der Zeit.

          Ihn jedoch reizten vor allem monumentale Aufgaben. Wie gerne hätte er seine sinnen- und farbenfrohe Phantasie in Dekoration großen Stils verkörpert!

          Dem Sohn des gesuchten Hamburger „Dekorateurs“ war zwar am Anfang seiner Laufbahn wiederholt die Ausschmückung reicher Villen der Hansastadt zugelassen, aber die Staatsaufträge, die seiner Schaffenslust und -kraft allein den rechten Tummelplatz hätten bieten können, blieben aus. „Die Bavaria“, die begeisterten Blickes, mit hoch erhobenen Lorbeer, die Stufen herabsteigt, das sein Stadtwappen schleppende Münchner Kindel mit dem schalkhaften Gesichtchen in der Kapuze neben sich und dem bedächtig wandelnden bayerischen Löwen als Nachhut, eine glänzende Probe seines dekorativ-künstlerischen Geschicks, war leider für seinen Nachlass gemalt, aus dem es erst in das Rathaus, wohin es gehört, überging. Man hat in seinem Kinderfries, seinem Bacchanal Reflexe der Kunst Makarts, in seinen Faunen Zentauren und Nymphen der Böcklins, in anderen gar Feuerbachs entdeckt und selbst nachgewiesen. In der Tat hatte er mit allen dreien nicht viel mehr als das echte, von Genialität beseelte Künstlertum gemein, das hier und dort in verwandten Zügen zusammentrifft. Piglhein ist stets und überall er selbst, einer der bedeutendsten unter den modernen Künstlern Deutschlands, der Form, Farbe und Stimmung gleichermaßen beherrscht und im Gegensatz zu dem Romantiker Boecklin der Poet der Wirklichkeit genannt werden dürfte. Seine Reformen auf dem Gebiet der Theaterdekoration konnte er trotz Possarts Interesse für dieselben nicht mehr ausführen. Dagegen war es ihm vorbehalten, das Panorama, das beliebte Riesenschaustück der Gegenwart, auf das Gebiet der reinen Kunst emporzuheben.

          Das Kreuzigungspanorama, das er auf Grund genauester und umfassendster, größtenteils in Palästina selbst gemachter, ethnologischer, landschaftlicher Vorstudien vom Jahre 1885 bis 1886 vollendete, ist das Hauptwerk seines Lebens. Er vertiefte nach der religiösen, erweiterte nach der archäologischen Seite seinen Vorwurf und schuf so ein Bild des Thuns, Trachtens und Treibens, das an jenem ewig denkwürdigen 7. April 30 sich in Golgatha abspielte. Die Sonne selbst hat ihr Antlitz verfinstert und in mystischem Halbdunkel vollzieht sich der Opfertod des Erlösers. Keiner, der das großartige Rundgemälde, dessen vielgegliederte Komposition sich um den Gekreuzigten kristallierte, je gesehen, wird die überwältigende, die Seele mit andächtigem Schauer erfüllende Stimmung je vergessen. Sie war das Verdienst Piglheins, der die Gesamtkomposition, die Rekonstruktion der höchst interessanter Architektur der Stadt und umliegenden Lustschlösser und Gehöfte, wie die mannigfaltigen Figuren persönlich übernommen hatte. Die Landschaft hatte er Jos. Krieger, die Architekturmalerei und perspektivische Übertragung der Originalskizzen auf die 120 Meter lange und 15 Meter hohe Leinwand Karl Frosch, die ihn beide nach dem Orient begleitet, zugeteilt, während bei der endgültigen Fertigstellung noch A. Heine und J. Block Hilfe leisteten.

Die Entstehungsgeschichte und Beschreibung dieses Meisterpanoramas wird man mit Genuss in dem trefflichen, von allen Piglhein-Biographien ausgiebig verwerteten Text lesen, den Dr. Trost zu dem bei Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart erschienenen „Piglhein-Panorama Jerusalem und die Kreuzigung Christi“ verfasst hat. Diese beiden, kleiner und größer in sorgfältiger photographischer und Holzschnittreproduktion veröffentlichten Alben werden allein das Andenken des gewaltigen Lebenswerk Piglheins, eines der interessantesten der neuesten Kunstentwicklung überhaupt, der Nachwelt übermitteln. Nur München, Berlin und Wien durften sich wenige Jahre hindurch dieses herrlichen Passionsbildes freuen, denn schon im April 1892 ging es durch einen beklagenswerten Zufall zu Wien in Flammen auf. Zu dem leid um die Zerstörung seiner größten, liebsten Schöpfung gesellte sich für den Künstler noch der Verdruss über die unbefugten Wiederholungen des Rundbildes, durch die sein Mitarbeiter Frosch ihn kränkte und schädigte.

          Gleichwohl dankte Piglhein seinem Panorama außer dem Titel eines königlichen Professors, mit dem er geehrt wurde, noch eine wesentliche Vermehrung seines Wissens und Könnens. Dem gleichen Boden wie das Kolossalgemälde ist sein bestes Staffelbild, die reifste Frucht seines Schaffens, die 1888 prämierte und im Besitz der königlichen Pinakothek befindliche „Grablegung“ entsprossen. Durch eine öde, düstere, hohe Felsenschlucht trägt Josef von Arimathäa mit den Seinen liebreich auf sorgsamen Armen den in die „seine, weiße Leinwand, so er gekauft“, gehüllten Leichnam des Heilandes, auf dessen verklärtem, von Johannes gestütztem Haupt der letzte Strahl des Abends schimmert. Verzweifelt streckt eine der am Eingang der Gruft harrenden Frauen, in der wir wohl Maria Magdalena erkennen dürfen, die gefalteten Hände aus, während die Mutter des Herrn und „die andere Maria“ dem Grabe gegenüber lehnen. Die Tradition in ihrem vollen Umfang aufnehmend, ist Piglhein ernstlich bestrebt, den Geist des Evangeliums zu ergreifendem Ausdruck zu bringen. Dazu verhilft ihm vor allem die Stimmung, die er mit großem koloristischen Geschick über das Ganze zu verbreiten weiß. Auch das ethnographische Moment beobachtet er genau, doch stets innerhalb der für ihn unverrückbaren Schönheitsgrenze und ohne durch Nebenrücksichten je das Erbauliche, Erhabene des jeder Kirche würdigen Bildes zu beeinträchtigen. Mehrfache Darstellungen der Madonna mit dem Kinde, mit oder ohne Erzeugen widerlegen den ihm von einzelnen Seiten gemachten Vorwurf des Mangels an Innigkeit. Wie lieblich er das moderne Kinderköpfchen dem Heiligen anzupassen versteht, bezeugt die hübsche Skizze des „Sterns von Bethlehem“.

          Das sogenannte Genrebild lag ihm fern, denn er dachte, wenn er nach Pinsel und Palette griff, nur an den malerischen Reiz, nie an die Verkäuflichkeit des Gegenstandes, arbeitete mehr zur eigenen Genugtuung, als dem großem Publikum zu gefallen. Darum sind seine „Nymphe und Faun“, sein „Frühlingsidyll mit den schmetterlinghaschenden Nymphen“, sein in Liebesglut an einander geschmiegtes „Zentaurenpaar“ auch das Entzücken des Künstlers und Kenners. Mit der „Blinden“, die mit ihrem Wasserkrug ihren Weg durch ein rotes Mohnfeld hintastet, schlug er dem Volke sympathische Saiten an und es ist gleich dem lustigen Capriccio, das Kind und Hund dicht an einander gedrängt auf dem Badesteg zeigt, populär geworden.

          Die Darstellung der Tiere war ihm ein besonderes Vergnügen, und namentlich seine Löwen und Hunde gemahnen an den klassischen Maler dieser beiden, Briton Rivière. Seinen Hausfreund, ein schöner Bulldog mit dem Damenschuh als „Apportel“, sehen wir sprechend ähnlich auf unserer Abbildung. Gar vieles aus diesem reichen, nur allzu reichen Nachlass wäre noch zu erwähnen, zu rühmen: die wunderbar gemalten Akte, die „Schwerttänzerin“ mit den schlanken, geschmeidigen Gliedern, der „Nubier mit dem Affen“, ein Bild, das in seiner imposanten Auffassung uns satten Farbe an das Cinque Cento gemahnt, die Wappen endlich, die gleichsam die Stichworte künftiger Werke enthalten. Über hundert Nummern umfasst die zur Zeit in der königlichen Nationalgalerie in Berlin ausgestellte künstlerische Hinterlassenschaft Piglheins. Sie ist zum größten Teil noch verkäuflich, ein Zeichen, dass Deutschland wieder einmal einem seiner erlesenen Geister die klingende Anerkennung schuldig geblieben ist. Die Kunstgeschichte unserer Tage aber hat dem Namen Piglhein einen Ehrenplatz eingeräumt, den er wohl verdient und sicher behaupten wird.

                                                                      Alex Braun.