Die Kunst für alle, 1894
9.
Jahrgang
Am
Morgen des 15. Juli hat der Tod den Maler-Professor Bruno Piglhein in München
von einem langwierigen und überaus qualvollen Leiden erlöst, und es war ein
ehrliches und allgemeines Wehklagen um den trefflichen, warmherzigen Menschen,
den echten, hochstrebenden Künstler. Dem Hingegangenen ist jeder gut gewesen,
wie er jedem gut war. Von seinem reifen und wohlwollenden Urteil, seiner
entgegenkommenden, vornehmen Art, von seinem klaren Geiste wissen alle zu
erzählen, die je das Glück hatten, mit ihm näher in Berührung zu kommen.
Das viel missbrauchte Wort „künstlerisch“ kennzeichnet
alles, was er tat und schuf. Er griff nie fehl, er traf immer das Rechte.
Schwierigkeiten gab es kaum für seine leichtschaffende Hand, neben der er noch
eines besaß, was die Gefährlichkeit eines Talents von allzu schöpferischer Art
vollkommen ausgleicht; eine strenge und zuverlässige Selbstkritik. Nicht nur,
weil, weil wir ihn überhaupt verloren haben, trauert, wer Kunst liebt und kennt
in den deutschen Landen, sondern ganz besonders auch, weil wir ihn verlieren
mussten, bevor er Gelegenheit fand, uns in der Bewältigung einer großen Aufgabe
ein bleibendes Denkmal seines Genies zu hinterlassen. Auf großartige dekorative
Aufgaben wies ihn seine Veranlagung hin und kein lebender Maler wäre solchen
wohl mit gleichem Geiste, gleichem Geschmack, gleichem Schwung und gleich
glänzender Technik gerecht geworden. Er hat solche Aufgaben nicht erhalten, so
reiche Erfolge ihm auch sonst im Leben zu teil geworden sind, bei großen
öffentlichen Aufträgen, wie sie in Deutschland der wohltemperierten
Mittelmäßigkeit alljährlich zu teil werden, wurde er stets übergangen. Das warf
manchen Schatten in sein Leben und so still und vornehm seine Art war, die es
wohl nach außen nicht merken ließ, so sehr mag’s ihn doch im Inneren verbittert
haben. Eine gewisse Müdigkeit, ein Hauch von Wehmut lag seit langen Jahren über
seinem Wesen – es war wohl nichts anderes als das Bewusstsein, dass man ihn im
allgemeinen doch nicht voll gewürdigt hat, ihn nicht sich aussprechen ließ.
Piglhein wurde 1848 in Hamburg geboren, Zuerst widmete er
sich in seiner Vaterstadt der Bildhauerkunst, dann bei Schilling in Dresden.
1870 kam er zu Wilhelm Diez nach München. Den ersten großen, öffentlichen
Erfolg errang er 1879 auf der Münchener Internationalen Kunstausstellung mit
seinem „Moritur in Deo“, einer Darstellung des Gekreuzigten, dem ein Engel das
Leben von der Stirne küsst. Das Bild wurde in den letzten Tagen von Geheimrat
Krupp in Essen erworben und wird die Berliner „Nationalgalerie“ zieren, die
bisher für Piglheins edle Kunst nichts übrig hatte. Später errang er seine
Erfolge auf einem so ziemlich entgegengesetzten Gebiet, durch Pastellbilder aus
pikanter und leichtherziger Genusswelt, Bilder von so brillanter und reizvoller
Technik, wie sie kein Zweiter neben ihm verstand. Der Auftrag, ein Panorama der
Kreuzigung Christi mit dem rekonstruierten Jerusalem und seiner Umgebung zu
malen, führte ihn wieder der ernsten Kunst zu. Das Rundbild wurde ein
Meisterwerk, von aller Welt bewundert. *) 1892 hat es in Wien ein Brand
zerstört. Die Nachricht traf den Künstler wie ein schwerer Schicksalsschlag.
Eine große „Grablegung“, die 1888 ausgestellt wurde, erwarb
der bayerische Staat für seine Sammlungen. Viel Aufsehen erregte 1890 in
München und dann 1891 in Berlin, wo es an einen Amerikaner verkauft wurde, das
große Bild „Die Blinde“, ein herrliches, wahrhaft dichterisch empfundenes Werk.
Sonst sind von seinen Arbeiten aus letzter Zeit noch besonders zu nennen:
mehrere Bildnisse der Familie Krupp, eine orientalische Schwerttänzerin, eine
Madonna, ein entzückendes antikes Liebespaar, im Frühling am Rande eines
Grabens kosend, eine Art Bavaria als Huldigungsbild u. a. In den allerletzten
Jahren hemmte das Leiden, das ihn nun in kühle Erde gebettet hat, seine
Schaffenskraft und seit Jahr und Tag und länger hat er wohl keinen Pinsel mehr
berührt. Piglhein hatte sich 1892 der „Sezession“ angeschlossen, als die
Spaltung in der Münchener Künstlerschaft vor sich ging. Gehörte er auch in
seiner Ausdrucksweise nicht zur jüngsten Richtung, so wehte ihn doch der
frische Zug in der modernen Malerei sympathisch an, und er sprach oft davon,
dass auch seine Weise nunmehr ganz anders werden müsste. Seinem Können und
seinem Talente wäre es ja ein Leichtes gewesen, die Errungenschaften der Kunst
einer neuen Zeit sich anzueignen und jene selbst zu fördern. Er kam nicht dazu.
Vor einem Jahre legte er sein Amt als Präsident der Sezession nieder – am 17.
Juli 1894 haben wir ihn begraben. Ein Strom von Blumen quoll über den Sarg des
Schönheitsfreudigen in seine Gruft.
M. W.
*) Vervielfältigungen des
Panorama von Jerusalem in Holzschnitt und Photographie erschienen bei der
Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart zum Preise von 8 bzw. 6 Mark.
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