Die Münchener Malerschule

seit dem Jahre 1874

von

Dr. Adolf Rosenberg

Der Kunstverein für Hannover

seinen Mitgliedern

1886/87

 

 

 

Auch für Bruno Piglhein (geb. 1848 in Hamburg) ist die religiöse Malerei nicht das charakteristische Merkmal seiner Kunst, obwohl er der ergreifenden Komposition des von einem Engel getrösteten sterbenden Christus zuerst seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt gemacht und in jüngster Zeit vor allem durch sein Panorama der „Kreuzigung Christi“. Piglhein ist ein sehr bewegliches Talent, welches nicht am Stoffe haftet, sondern seine koloristische Ausdrucksweise an möglichst verschiedenartigen Gegenständen zu erproben sucht. Sein ganzer Bildungs- und Entwicklungsgang hat etwas Sprunghaftes und Ruheloses, und eine Klärung seiner Bestrebungen ist noch nicht abzusehen. Nachdem er in Hamburg die Schule absolviert, trat er in das Atelier des dortigen Bildhauers Lippelt ein und 1864 begab er sich zum Besuch der Kunstakademie nach Dresden, wo ihn schließlich Professor Schilling in sein Atelier aufnahm, in welchem er an dessen Gruppen für die Brühlsche Terrasse mitarbeitete. Was er jedoch an eigenen Kompositionen ausführte, geriet so ins Malerische, dass sich Piglhein entschloss, die Plastik aufzugeben und sich der Malerei zu widmen. Sein nächstes Ziel war die Kunstschule zu Weimar, wo er sich unter dem vortrefflichen Pauwels in der Maltechnik ausbilden wollte; aber wie vielen anderen behagten ihm die engen Verhältnisse der thüringischen Residenz nicht lange, und er ging noch im Jahre 1860 nach München, wo er sich an Wilhelm Diez anschloss. Wenn er auch nur kurze Zeit dessen Schüler gewesen ist, so sind doch die malerischen Tendenzen des Meisters in Piglheins Arbeiten, namentlich in dem letzten schon genannten Hauptwerke, unverkennbar. Daneben machten sich aber zuvor noch andere Einflüsse geltend, vornehmlich diejenigen von Makart und Böcklin. In immer engerem Anschluss an ersteren führte Piglhein in der ersten Hälfte der siebziger Jahre eine Reihe dekorativer Arbeiten für Hamburger und Müchner Privathäuser aus, wie die „Von Genien bekränzten Hermen“, „Tag und Nacht“ und „Das häusliche Glück“, ein vornehmes Ehepaar im Kreise seiner Kinder und Hausgenossen mit der koloristischen Energie eines Frans Hals geschildert. Zu gleicher Zeit und in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre beschäftigte ihn eine Reihe von lebhaft bewegten Kompositionen aus dem Kreise der Bacchanten und Centauren, von denen eine unter dem Titel „Einsam“, ein Centaurenpaar am Strande, in der phantastischen Grundstimmung ganz an Böcklin erinnernd, freilich mit stärkerer, gerade nicht angenehm berührender Betonung des sinnlichen Elements, auf der Münchener internationalen Ausstellung von 1883 zu sehen war. Dieser Gruppe gehören auch die gleichfalls an Böcklin und besonders an ähnliche Kompositionen Feuerbachs gemahnende Badeszene „Am Strande“ und die „Idylle“ (ein Kind, Rücken an Rücken neben einem Hunde auf dem Badestege sitzend, an, welche nachmals durch die Photographie und andere Nachbildungen so beliebt geworden ist, dass sich Piglhein dadurch ermutigt fühlte, eine Reihe ähnlicher Darstellungen aus dem Leben der Kinder und Haustiere zu malen.

          Zu vollem Ausdruck seiner Kraft erhob sich Piglheins Talent aber erst in dem 1879 ausgestellten Heiland am Kreuze („Moritur in Deo“), in welchem auch seine plastischen Studien bei der Darstellung des mit größter Sorgfalt und naturalistischer Strenge durchgeführten, in allen Muskeln straff angespannten, von dem höchsten Maße des Leidens erschütterten Körpers und des in schwieriger Verkürzung erscheinenden Engels trefflich zur Geltung kamen. Doch geben sich trotz allem Naturalismus in der Detailbehandlung die Tiefe, Fülle und Wahrheit der Empfindung in den Köpfen der beiden Figuren, des mit wandellosem Vertrauen zu Gott emporblickenden, opfermutig sterbenden Erlösers und des den Todesschweiß von seiner Stirne küssenden Engels, die stimmungsvolle, auf die nahe Himmelsglorie hindeutende Beleuchtung und dass tief ergreifende, von ähnlichen Bildern van Dycks so vollkommen idealistisch, dass das Gemälde die erhebende und tröstende Wirkung eines Andachtsbildes erreicht. – Nach diesem glänzenden Erfolge war es für die Freunde, welche sich Piglhein mit seinem „Moritur in Deo“ erworben hatte, eine um so schmerzlichere Überraschung, als der Künstler plötzlich mit Pastellzeichnungen auftrat, deren Inhalt nicht nur in schroffen Widerspruch zu jenem ernsten, religiösen Stimmungsbilde trat, sondern die auch an und für sich auf jeden Anhänger einer gesunden Kunstanschauung verletzend und verstimmend wirkten. Das Verdammungsurteil, welches Piglheins Darstellungen aus zweifelhaften Gesellschaftskreisen erfuhren, wird durch die Thatsache nicht gemildert, dass Piglhein für seine Kompositionen in großem Stil keine Käufer fand und dass er sich deshalb auf den Antrag eines Kunsthändlers in einem Genre versuchte, das durch „lose, fassliche Geberden“ das große Publikum mehr anlockte. Man sieht es seinen Pastellbildern von modernen Phrynen, französischen Kokotten und ihrem männlichen Anhang nicht an, dass sie mit Unlust – invita Minerva – oder nur der Übung halber entstanden sind. Diese bunten, keck hingeworfenen Darstellungen von blasierten Dirnen, welche sich auf schwellenden Divans umherwälzen oder im extravagantesten Modekostüm mit lüsternen Blicken promenieren oder durch herausfordernde Tracht die Sinne reizen, diese Gecken, Roués und halb blödsinnigen Modenarren sind so lebendig wahr und mit so geistreicher Frivolität durchgeführt, dass ihr Urheber hier ebenso gut mit seinem ganzen künstlerischen Eifer und mit der seinem Schaffen eigenen Aufrichtigkeit bei der Sache gewesen ist, wie bei seinen Bildern ernsteren Inhalts. Es muss anerkannt werden, dass die Technik der Pastellmalerei, welche im Anschluss an Pariser Muster in München vornehmlich durch Lenbach und Piglhein in Ausnahme gekommen ist, sich zur Darstellung solcher Scheinexistenzen, die kein charakteristisches Wesen und keinen sittlichen Kern besitzen, sondern bereits den Stempel der Fäulnis mit koketter Anmaßung zur Schau tragen, vortrefflich geeignet ist. Neben diesen Improvisationen zweideutigen Inhalts entstanden glücklicherweise auch gesunde Schöpfungen, Portraits, humoristische Kinderszenen und selbst tiefangelegte Werke, welche an den alten Piglhein erinnerten, ein sterbender Christus, der kopf einer Béatrice und eine Maria unter dem Kreuze, so dass man der Zukunft des Künstlers noch nicht zu verzweifeln brauchte. In der That hat er auch wieder einen Aufschwung zu Zielen genommen, indem er nach seiner voraufgegangenen Studienreise nach Palästina, wo er im Verein mit dem Architekturmaler Karl Frosch und dem Landschaftsmaler Joseph Krieger photographische Aufnahmen von Land und Leuten machte, in der Zeit vom September 1885 bis zum Mai 1886 im Auftrage eines Unternehmers für München ein großes Panorama der Kreuzigung Christi ausführte. Um die Szene zu einem umfangreichen Schaubilde zu machen, erweiterte er das biblische Motiv zu einer ethnologischen und landschaftlichen Schilderung des damaligen Jerusalems, deren geistigen Mittelpunkt zwar der Golgathaberg mit den drei Kreuzen bildet, welche jedoch auch das lebhafte Treiben der Händler und Käufer am Vorabend des jüdischen Osterfestes umspannt. Karawanen ziehen durch die felsige Einöde auf die Thore von Jerusalem zu, aus welchen das neugierige Volk bis zum Fuße des Kreuzeshügels herbeigeeilt ist, um sich an dem Schauspiel zu weiden. In der Beherrschung der Massen wie in der Betonung und liebevollen Durchführung einzelner Gruppen und Figuren hat Piglhein seine reiche Begabung von der besten Seite gezeigt und diesen Zweig der dekorativen Malerei durch vornehme, geistvolle Auffassung veredelt.

         

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