„Aus meinem Leben“
- Erinnerungen und Betrachtungen von Wilhelm Steinhausen
Seite 50. (1873)
- - - - Ich erinnere
mich nur eines Abends, an dem Thoma mich zum Veltliner in München mitnahm. Da
war in einem engen, schmalen Raum eine lange Tafel. An der in Rauch gehüllt die
weintrinkenden Gäste saßen. Ich kam in die Nachbarschaft von Heinrich Leuthold,
dem Schweizer Dichter, zu sitzen. Er war eine lange, grobknochige Gestalt, sein
bartloses Gesicht hatte etwas Mephistophelisches. Er sprach seine oft sarkastischen
Sätze im reinsten Schweizer Ton gurgelnd und krachend. Er schien seine
Malerfreunde zu bewundern und zu beneiden wie Leute, die es mit ihrer Kunst
leichter hätten als er mit den seinen. Nicht weit weg von uns gegenüber saß der
Maler Bruno Piglhein, den Kopf nachlässig träumerisch auf seien Hand gestützt.
Leuthold stieß mich an und sagte bewundernd auf ihn hinweisend:
„Ist er nicht ein
wahrer Antinous?“ Und wirklich, Piglhein war ein auffallend schöner Mensch,
sein Kopf mit dem dunkellockigem Haar, den großen dunklen Augen konnte wohl an
den einen eines römischen oder griechischen Jünglinge erinnern. Ich glaube,
Leuthold sprach dann weiter, wie schön der herrliche Jüngling sich im Gefolge
des Bacchus, den Thyrsus schwingend, machen würde, und zitierte dabei seine
klassisch gebauten Verse.
Man weiß, wie schnell
Piglhein zu einem großen Erfolg kam und wie man ihn auch als Maler und Künstler
bewundert hat. Umso mehr war sein früher Tod traurig, der ihn schon im Anfang
der achtziger Jahre ereilte; schwer herzkrank starb er soweit ich weiss, in
Nauheim.
Die Erinnerung an
diesen Abend ist mir wohl nur im Gedächtnis geblieben durch die Gestalten
Leutholds und Piglheins in ihren merkwürdig kontrastierenden Erscheinungen. Der
Tod hat beide, fast zu gleicher Zeit, unter die Erde gezogen. - - - -